Die Rückkehr des Sherlock Holmes
Kopien an. Es ist jammerschade, daß wir von den Kreidezeichen auf dem Fensterbrett keine Abschrift besitzen. Forschen Sie auch diskret nach, ob in der Nachbarschaft irgendwelche Fremden aufgetaucht sind. Wenn Sie ein wenig neues Material gesammelt haben, kommen Sie wieder zu mir. Einen besseren Rat kann ich Ihnen jetzt nicht geben, Mr. Hilton Cubitt. Sollten sich dringende neue Entwicklungen ergeben, so bin ich stets bereit, Sie unverzüglich in Ihrer Heimat aufzusuchen.«
Das Gespräch hatte Sherlock Holmes sehr nachdenklich gemacht, und in den nächsten Tagen beobachtete ich mehrmals, wie er das Blatt aus seinem Notizbuch nahm und lange und ernst die seltsamen Figuren darauf betrachtete. Jedoch erst zwei Wochen später sprach er wieder über diese Angelegenheit. Es war an einem Nachmittag, und ich wollte gerade ausgehen, als er mich zurückrief.
»Sie sollten besser hierbleiben, Watson.«
»Warum?«
»Weil ich heute morgen ein Telegramm von Hilton Cubitt bekommen habe – sie erinnern sich doch an Hilton Cubitt, den mit den tanzenden Männchen? Er wollte um ein Uhr zwanzig in Liverpool Street ankommen und dürfte daher jeden Moment hier sein. Ich schließe aus seinem Telegramm, daß einige neue und wichtige Dinge vorgefallen sind.«
Wir brauchten nicht lange zu warten, denn unser Gutsherr aus Norfolk kam direkt vom Bahnhof zu uns, so schnell ihn ein Hansom bringen konnte. Er wirkte besorgt und niedergeschlagen; seine Augen waren müde und seine Stirn zerfurcht.
»Die Sache geht mir langsam auf die Nerven, Mr. Holmes«, begann er, indem er sich erschöpft in einen Lehnstuhl sinken ließ. »Es ist schon schlimm genug, das Gefühl zu haben, man sei von unsichtbaren und unbekannten Leuten umgeben, die irgend etwas im Schilde führen; wenn man aber darüber hinaus mitansehen muß, daß dies die eigene Frau stückweise dem Tode näherbringt, dann wird es nahezu unerträglich. Sie welkt darunter hin – verwelkt glattweg vor meinen Augen.«
»Hat sie schon etwas verlauten lassen?«
»Nein, Mr. Holmes, kein Wort. Aber das arme Mädel hat ein paarmal reden wollen, konnte sich aber nicht dazu überwinden. Ich habe versucht, ihr zu helfen; aber ich habe es wohl zu plump angestellt und sie so noch mehr davon abgeschreckt. Sie sprach dann von meiner alten Familie, unserem Ruf in der Grafschaft, unserem Stolz auf unsere unbefleckte Ehre – und stets hatte ich dabei das Gefühl, sie wollte ihre Sache loswerden; doch irgendwie gelangte sie nie dazu.«
»Aber Sie haben selbst etwas herausgefunden?«
»Eine ganze Menge, Mr. Holmes. Ich habe einige Reihen neuer tanzender Männchen für Sie, und, was noch wichtiger ist, ich habe den Kerl gesehen.«
»Was – den Mann, der sie zeichnet?«
»Ja, ich sah ihn bei seiner Arbeit. Aber ich will Ihnen alles der Reihe nach erzählen. Als ich von meinem Besuch bei Ihnen zurückkam, fand ich am Morgen darauf als allererstes einen neuen Satz tanzender Männchen. Sie waren mit Kreide auf das schwarze Holztor des Geräteschuppens gemalt, der an unserer Wiese steht; man kann ihn von unseren Vorderfenstern ganz überblicken. Ich habe sie genau abgemalt; hier bitte.« Er entfaltete ein Stück Papier und legte es auf den Tisch.
»Ausgezeichnet!« sagte Holmes. »Ausgezeichnet! Fahren Sie bitte fort.«
»Nachdem ich die Zeichnung abgemalt hatte, wischte ich sie weg. Aber zwei Tage darauf war eine neue Inschrift da. Sehen Sie, hier:«
Holmes rieb sich die Hände und kicherte vor Vergnügen.
»Unser Material wächst rapide an«, sagte er.
»Drei Tage darauf lag eine auf Papier gekritzelte Botschaft unter einem Kieselstein auf der Sonnenuhr. Hier ist sie. Wie Sie sehen, entsprechen die Figuren genau den vorigen. Hierauf beschloß ich, mich auf die Lauer zu legen. Ich nahm daher meinen Revolver und wachte in meinem Arbeitszimmer, von wo aus man die Wiese und den Garten überblicken kann. Es war etwa zwei Uhr morgens; ich saß am Fenster, alles war dunkel, bis auf das Mondlicht draußen; da vernahm ich hinter mir Schritte, und meine Frau erschien im Morgenmantel. Sie flehte mich an, ins Bett zu kommen. Ich sagte ihr ganz offen, daß ich denjenigen zu sehen wünschte, der uns so albern an der Nase herumführte. Sie erwiderte, das Ganze sei irgendein dummer Streich, dem ich keine Beachtung schenken sollte.
›Wenn es dich wirklich beunruhigt, Hilton, könnten wir beide doch verreisen und so der Belästigung aus dem Weg gehen.‹
›Was – wir sollten uns von einem Possenreißer
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