Die Rückkehr des Sherlock Holmes
aus dem Haus vertreiben lassen?‹ sagte ich. ›Ha, die ganze Grafschaft würde uns ja auslachen!‹
›Ach, komm ins Bett‹, sagte sie. ›Morgen besprechen wir die Sache dann.‹
Als sie das sagte, sah ich plötzlich im Mondlicht ihr bleiches Gesicht noch bleicher werden, und ihre Hand klammerte sich an meine Schulter. Im Schatten des Geräteschuppens bewegte sich etwas. Ich sah eine dunkle geduckte Gestalt um die Ecke schleichen und vor dem Tor sich niederkauern. Ich ergriff meine Pistole und wollte hinauslaufen, aber meine Frau schlang ihre Arme um mich und hielt mich krampfhaft fest. Ich versuchte sie abzuschütteln, doch sie umklammerte mich in höchster Verzweiflung. Endlich kam ich frei, aber bis ich dann die Tür aufgemacht und den Schuppen erreicht hatte, war der Mensch nicht mehr da. Er hatte jedoch eine Spur seiner Anwesenheit zurückgelassen, denn an dem Tor befand sich wieder genau dieselbe Anordnung von tanzenden Männchen wie schon zweimal zuvor, die ich auf diesem Papier da abgemalt habe. Von dem Kerl war ansonsten nichts zu sehen, obwohl ich das ganze Grundstück absuchte. Aber das Erstaunliche daran ist, daß er die ganze Zeit über dagewesen sein muß, denn als ich am Morgen das Tor noch einmal untersuchte, hatte er wieder ein paar neue Figuren hingemalt, und zwar unter die Zeile, die ich schon gesehen hatte.«
»Haben Sie diese neue Zeichnung auch da?«
»Ja; sie ist sehr kurz, aber ich habe sie trotzdem abgemalt. Hier ist sie.«
Wieder zog er ein Papier hervor. Der neue Tanz sah so aus:
»Sagen Sie mir«, bat Holmes – und ich sah seinen Augen an, wie erregt er war – »war dies ein bloßer Zusatz zu dem ersten, oder erschien es vollkommen getrennt davon?«
»Es stand auf einer anderen Tafel des Tors.«
»Ausgezeichnet! Das ist bei weitem das Bedeutsamste für unsere Zwecke und macht mir Hoffnung. Nun, Mr. Hilton Cubitt, setzen Sie bitte Ihre höchst interessante Darlegung fort.«
»Mehr habe ich nicht zu sagen, Mr. Holmes, außer daß ich in dieser Nacht auf meine Frau wütend war, weil sie mich zurückgehalten hatte, als ich diesen feigen Schurken hätte überwältigen können. Angeblich hat sie befürchtet, ich könnte zu Schaden kommen. Ich aber glaubte vorübergehend, in Wirklichkeit habe sie vielleicht befürchtet, daß
er
zu Schaden kommen könnte, denn ich konnte nicht daran zweifeln, daß sie diesen Mann kannte und wußte, was er mit diesen komischen Zeichen sagen wollte. Aber etwas in der Stimme und den Augen meiner Frau verbietet mir jeglichen Zweifel, Mr. Holmes, und jetzt bin ich davon überzeugt, daß sie dabei wirklich nur um meine Sicherheit besorgt war. Das ist alles, und nun müssen Sie mir raten, was ich tun soll. Ich selbst würde am liebsten ein Dutzend meiner Bauernburschen im Gebüsch verstecken, und wenn dieser Kerl noch einmal kommt, ihm eine solche Abreibung verpassen, daß er uns künftig in Ruhe läßt.«
»Ich fürchte, der Fall ist für so simple Rezepte zu kompliziert«, sagte Holmes. »Wie lange können Sie in London bleiben?«
»Ich muß noch heute zurück. Ich möchte meine Frau auf keinen Fall über Nacht alleine lassen. Sie ist sehr nervös und hat mich gebeten, zurückzukommen.«
»Daran tun Sie allerdings recht. Aber wenn Sie hätten bleiben können, wäre ich in ein paar Tagen womöglich in der Lage gewesen, Sie nach Hause zu begleiten. Wenn Sie mir inzwischen diese Zettel hierlassen, werde ich Ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach in Bälde einen Besuch abstatten und Licht in Ihren Fall bringen können.«
Sherlock Holmes bewahrte seine gelassene professionelle Art, bis unser Besucher sich von uns verabschiedet hatte. Gleichwohl fiel es mir, der ich ihn so gut kannte, leicht, ihm eine beträchtliche Aufgeregtheit anzumerken. Der breite Rücken Hilton Cubitts war auch kaum durch die Tür verschwunden, als mein Gefährte an den Tisch eilte, die ganzen Zettel mit den tanzenden Männchen vor sich ausbreitete und sich an eine verwickelte und kunstvolle Rechnerei begab.
Zwei Stunden lang sah ich ihm dabei zu, wie er ein ums andere Blatt Papier mit Figuren und Buchstaben bedeckte; er war so sehr in seine Aufgabe vertieft, daß er meine Anwesenheit offenbar vergessen hatte. Ab und zu kam er voran, dann pfiff und sang er bei seinem Tun; aber manchmal verwirrte ihn etwas, und dann saß er lange da mit gefurchter Stirn und abwesendem Blick. Schließlich sprang er mit einem Ausruf der Befriedigung aus seinem Stuhl und ging händereibend im Zimmer
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