Die Rückkehr des Tanzlehrers
horchte wieder. Immer noch kein Laut. Dann hob er die Waffe und trat ein. Er entdeckte sie zu spät. Sie stand neben einem hohen Schrank an der Wand neben der Tür. Unbeweglich, die Waffe auf ihn gerichtet.
»Laß die Pistole fallen«, sagte sie.
Sie sprach leise, fast zischend. Er beugte sich langsam nieder und legte Giuseppes Pistole auf den Steinfußboden.
»Nicht einmal in der Kirche läßt du mich in Frieden«, sagte sie. »Nicht einmal an dem Tag, an dem mein Vater beerdigt wird. Du solltest an deinen eigenen Vater denken. Ich bin ihm nie begegnet, aber nach dem, was ich gehört habe, war er ein guter Mann. Seinen Idealen treu. Nur schade, daß es ihm nicht gelungen ist, sie an dich weiterzugeben.«
»Hat Emil Wetterstedt dir das erzählt?«
»Vielleicht. Aber das spielt wohl kaum eine Rolle.«
»Und was hast du jetzt vor?«
»Ich werde dich töten.«
Zum zweiten Mal an diesem Morgen sprach sie diese Drohung aus. Doch diesmal war es, als vermöchte er nicht einmal mehr Angst zu haben. Es blieb nur die Hoffnung, daß es ihm gelingen würde, sie zum Aufgeben zu überreden, oder daß eine Situation entstand, in der er sie entwaffnen könnte.
Dann sah er ein, daß es noch eine dritte Möglichkeit gab. Er stand immer noch dicht neben der Türöffnung. Wenn ihre Aufmerksamkeit einen Moment nachließe, würde er sich zurückwerfen und wieder ins Kircheninnere verschwinden. Dort könnte er sich zwischen den Bänken verstecken und möglicherweise nach draußen gelangen.
»Woher wußtest du, daß ich hier bin?«
Sie sprach wieder mit sehr leiser Stimme. Stefan bemerkte, daß sie die Pistole nicht mehr so fest hielt. Die Waffe zeigte schräg nach unten auf seine Beine, nicht mehr auf die Brust. Sie klappt gleich zusammen, dachte er.
Vorsichtig verlagerte er sein Körpergewicht auf das rechte Bein. »Warum gibst du nicht auf?« fragte er.
Sie antwortete nicht, schüttelte nur den Kopf. Dann kam der Augenblick, auf den er gewartet hatte. Die Hand mit der Waffe sank, und sie drehte den Kopf, um durch eines der Fenster zu sehen. Er warf sich zurück, drehte sich um und lief den Mittelgang hinunter. Jeden Moment erwartete er von hinten den Schuß, der ihn töten würde.
Plötzlich stolperte er und stürzte der Länge nach hin. Er hatte eine Teppichkante übersehen. Im Fallen schlug er mit der Schulter an eine der Bänke. Da kam der Schuß. Er schlug neben ihm in die Bank ein. Es folgte ein zweiter. Das Echo war wie ein Donner. Dann Stille. Er hörte das Geräusch eines fallenden Körpers hinter sich. Als er sich umsah, entdeckte er sie. Sie lag schräg vor dem Sarg ihres Vaters. Das Herz hämmerte wild in seiner Brust. Was war geschehen? Hatte sie sich erschossen?
Dann hörte er Erik Johanssons aufgeregte und schrille Stimme von der Empore. »Liegen Sie still! Bewegen Sie sich nicht! Veronica Molin, können Sie mich hören? Bleiben Sie liegen!«
»Sie bewegt sich nicht«, rief Stefan.
»Bist du getroffen?«
»Nein.«
Erik Johansson rief erneut. Seine Stimme hallte im Kirchenraum wider. »Veronica Molin, bleiben Sie liegen! Halten Sie die Arme ausgestreckt!«
Sie bewegte sich noch immer nicht. Es krachte an der Treppe, die zur Empore hinaufführte. Erik Johansson trat in den Mittelgang. Stefan stand langsam auf. Sie näherten sich vorsichtig dem reglosen Körper.
Stefan hob die Hand. »Sie ist tot. Du hast sie ins Auge getroffen.«
Erik Johansson schluckte und schüttelte den Kopf. »Ich habe auf ihre Beine geschossen. So schlecht ziele ich nicht.«
Sie traten zu dem Körper. Stefan hatte recht. Der Schuß hatte sie ins linke Auge getroffen. Unmittelbar neben ihr, an der Unterkante der gemauerten Steinsäule, die den Taufstein trug, war deutlich das Einschlagloch einer Kugel zu sehen.
»Ein Querschläger«, sagte Stefan. »Du hast vorbeigeschossen, aber die Kugel ist abgeprallt und hat sie getötet.«
Erik Johansson schüttelte verständnislos den Kopf. Stefan ahnte, daß Erik Johansson noch nie in seinem Leben einen Schuß auf einen Menschen abgegeben hatte. Jetzt hatte er es getan, und die Person, die er ins Bein treffen wollte, war tot.
»Es ist nicht zu ändern«, sagte Stefan. »Es ist einfach so. Aber jetzt ist es vorbei. Jetzt ist alles vorbei.«
Die Kirchentüren wurden geöffnet. Ein entgeisterter Küster starrte sie an. Stefan klopfte Erik Johansson auf die Schulter, bevor er zu dem Mann trat, um ihm zu erklären, was geschehen war.
Als Stefan eine halbe Stunde später Elsa Berggrens Haus
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