Die Rückkehr des Tanzlehrers
einhalten müßte. Doch sie hatte ihm geraten, möglichst wieder ein normales Leben zu führen, nicht ständig nach Symptomen zu suchen und damit der Furcht, die er so lange mit sich herumgetragen hatte, neue Nahrung zu geben. Und als er jetzt im Flugzeug saß, war ihm, als habe er den Absprung tatsächlich gewagt, fort von dieser Furcht, zurück zu etwas, was er so lange entbehrt hatte.
Elena sah ihn an. »Was denkst du?«
»Was ich ein halbes Jahr lang nicht zu denken gewagt habe.«
Sie drückte wortlos seine Hand. Einen kurzen Moment meinte er, in Tränen ausbrechen zu müssen. Doch es gelang ihm, sich zu beherrschen.
Sie landeten in Gatwick und trennten sich wie verabredet, nachdem sie durch die Paßkontrolle gegangen waren. Elena wollte zwei Tage in London bei einem entfernten Verwandten aus Krakau verbringen, der in einem von Londons vielen Vororten einen Kolonialwarenladen betrieb. Stefan wollte zum Terminal für Inlandflüge, um die Reise fortzusetzen.
»Ich begreife noch immer nicht, warum du dahin mußt«, sagte Elena.
»Ich bin trotz allem Polizist. Ich will ein Geschehen bis zum Ende verfolgen.«
»Aber ist der Täter nicht gefaßt? Zumindest einer von ihnen? Und die Frau ist tot. Ihr wißt doch, wie alles abgelaufen ist. Was gibt es da noch zu klären?«
»Es gibt immer Lücken. Vielleicht ist es nichts als Neugier. Etwas, was nur indirekt mit meiner Arbeit als Kriminalbeamter zu tun hat.«
Sie betrachtete ihn mit einem forschenden Blick. »In den Zeitungen stand, ein Beamter sei angeschossen worden und ein zweiter einer tödlichen Drohung ausgesetzt gewesen. Ich frage mich, wann du mir erzählst, daß du dieser andere Beamte warst. Wie lange muß ich darauf noch warten?«
Stefan antwortete nichts, hob nur die Arme.
»Du weißt im Grunde gar nicht, warum du diese Reise machen mußt«, fuhr Elena fort. »Habe ich recht? Oder gibt es etwas, was du mir nicht erzählen willst? Warum kannst du nicht einfach sagen, wie es ist?«
»Ich bin dabei, es zu lernen. Aber es ist so, wie ich sage. Eine letzte Tür, die ich öffnen möchte, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt.«
Er sah ihr nach, bis sie zwischen den Menschen, die dem Ausgang zustrebten, verschwunden war. Dann ging er zum Inland-Terminal. Die Melodie vom Morgen war plötzlich wieder in seinem Kopf. Seine Maschine startete pünktlich um 10.25, und aus dem knisternden Lautsprecher erfuhr Stefan, daß die Flugdauer knapp zwei Stunden betragen würde. Er schloß die Augen und wachte erst auf, als die Räder der Maschine mit einem Ruck auf der Landebahn des Flugplatzes von Inverness in Schottland aufsetzten. Als er auf das altertümliche Flugplatzgebäude zuging, spürte er die leichte, klare Luft, wie er sie aus Härjedalen in Erinnerung hatte. Sveg war von bewaldeten Höhen umschlossen wie von einem wogenden, dunklen Ring. Die Landschaft hier war anders. Im Norden scharf konturierte hohe Berge, ansonsten Heide und Ackerland, der Himmel tief und nah. Er holte den Schlüssel seines Mietwagens und spürte eine vage Nervosität, weil er sich an den Linksverkehr gewöhnen mußte, und machte sich auf den Weg nach Inverness. Die
Straße war schmal. Es irritierte ihn, daß die Schaltung ausgeleiert war, und er überlegte, ob er umkehren und einen besseren Wagen verlangen sollte. Doch er ließ es bleiben. Er wollte nicht weit fahren, nur nach Inverness und zurück, und vielleicht würde er noch den einen oder anderen Ausflug machen.
Das Hotel Old Blend, das sein Reisebüro für ihn gebucht hatte, lag im Stadtzentrum. Er brauchte lange, um es zu finden. Dabei hatte er zweimal im Kreisverkehr Chaos ausgelöst und andere Fahrer zu heftigen Bremsmanövern gezwungen. Er atmete tief durch, als er endlich den Wagen vor dem Hotel geparkt hatte, einem zweigeschossigen Haus aus dunkelrotem Backstein. Wieder einmal würde er im Verlauf seiner Suche nach den Umständen, die zu Herbert Molins Ermordung geführt hatten, im Hotel wohnen, dachte er, aber es würde zum letztenmal sein. Jetzt wußte er, was geschehen war, und er hatte auch den Mann getroffen, der Molin getötet hatte. Wo der Mann, der vielleicht Fernando Hereira hieß, sich befand, wußte er nicht. Ein paar Tage zuvor hatte Giuseppe aus Öster-sund angerufen und mitgeteilt, daß weder die Suche der schwedischen Polizei noch die Fahndung durch Interpol etwas ergeben habe. Er befand sich wohl unter einem anderen Namen, seinem wirklichen, schon irgendwo in Südamerika, und Giuseppe bezweifelte, daß
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