Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
Esmer hinter ihr auf den Egger losging. Die beiden konnten jeden Augenblick anfangen, mit Kräften, die nicht weniger tödlich als die eines Sturzes waren, übereinander – oder über Linden – herzufallen. Niedergeschlagen wandte sie sich ab und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Liand, Stave und Anele.
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Liand und Stave unversehrt waren und Anele – von wenigen Augenblicken Besessenheit und aufgezwungener Vernunft erschöpft – nur schlief, fragte sie unsicher: »Wie habt ihr das geschafft? Warum ist euch nichts passiert?«
Liand starrte weiter seine Hand und den Sonnenstein an, als hätten sie ihn verblüfft. »Ich hätte es nie geglaubt«, flüsterte er. »Ich habe bestimmt angenommen, meine Hand würde verbrennen, vielleicht auch der Orkrest mit ihr. Aber als ich Aneles Stirn damit berührt habe, ist das in ihm lodernde Feuer erloschen. Auf irgendeine Weise, die ich nicht verstehe, ist Kasteness ausgetrieben worden.«
»Dafür weiß ich auch keine Erklärung.« Liands Erfolg war Linden ein Rätsel. Sie hatte nicht erwartet, dass es ihm gelingen würde, den Elohim auszutreiben, sobald Kasteness von Anele Besitz ergriffen hatte. Vielleicht hatte der Alte durch Kontakt mit dem Orkrest auf ererbte Magie zurückgreifen können. »Ich bin nur froh, dass euch nichts fehlt. Euch allen.«
»Auserwählte«, sagte Stave laut, um sie zu warnen. »Sieh nur!«
Linden drehte sich instinktiv nach den Holzheimern um. Die Dorfbewohner hatten haltgemacht; drängten sich auf dem diesseitigen Bachufer zusammen. Die meisten von ihnen blickten jetzt in ihre Richtung, und die Gedemütigten und die Ramen kamen nun rasch auf sie zugaloppiert.
Mit einem Fluch wendete sie Hyn, um der Bedrohung durch Esmer und den Egger zu begegnen ... und sah, dass eine große Schar von Urbösen, die von weit weniger Wegwahrern begleitet wurde, wie aus dem aufgewühlten Boden gewachsen war. Sonnenlicht auf der Obsidianhaut der Urbösen ließ sie wie Avatare von Mitternacht erscheinen, auch bei Tag nachtschwarz. Das grauere Fleisch der Wegwahrer hatte die Farbe von Asche und Erschöpfung.
Sie waren die Letzten ihrer Art ...
Scheiße, dachte Linden. Natürlich! Urböse, Wegwahrer ... und Esmer. Sie sind hier, um dir zu dienen. Sie waren ihretwegen gekommen. Sie wollen dich vor mir schützen ...
Trotz ihres angeborenen Misstrauens gegeneinander hatte Cails Sohn mehrere Dutzend von ihnen aus der fernen Vergangenheit geholt. Und sie hatten sich Lindens Vertrauen erworben. Jetzt wusste sie nicht, wen Esmer hier zu betrügen versuchte.
Vereinigt, als hätten sie ihre uralte Fehde vergessen, bildeten die Urbösen und Wegwahrer zwei Angriffskeile: den einen mit ihrem einzigen Lehrenkundigen an der Spitze, den anderen unter Führung mehrerer Wegwahrer. Rau untereinander bellend standen die Wesen des ersten Keils Esmer gegenüber; die zweite Formation rückte gegen den Egger vor. Der Lehrenkundige trug ein Eisenzepter oder einen kurzen Wurfspeer, der von rauchendem Vitriol troff, und die Wegwahrer schwangen kurze Krummdolche, die aus leuchtendem Blut geschmiedet zu sein schienen.
Die beiden Männer hatten haltgemacht, Esmer mit herabhängenden Armen und geballten Fäusten. Sein Überwurf bauschte sich um ihn, als zupften daran Winde, die Linden nicht spüren konnte. In den gefährlichen Meeren seiner Augen stieg Gischt wie Dampf auf, und seine Gliedmaßen schienen von unterdrückter Sorge und Wut zu zittern: »Wildträgerin«, tönte seine Stimme weit über die Ebene, »du ahnst nicht, welchen Schaden dieser Insequente anrichten will. Im nächsten Augenblick hätte die Zäsur ihn verschlungen – und dir wäre viel erspart geblieben. Es war Wahnsinn, ihn zu retten.«
Der Egger thronte noch immer auf seinem Streitross, das Lächeln wie immer nonchalant, der Atem jedoch schnell und stoßweise, die Stirn von Schweißperlen bedeckt. Dennoch bot er von den Symbolen auf seinen Stiefeln bis hin zu der Perlenstickerei auf seinem Lederwams ein Bild beherrschter Kraft und lässiger Eleganz. Die Pflugschar-Fibel, die seinen Überwurf hielt, unterstrich seine gepflegte Haar- und Barttracht, und die Farbtöne seiner Kleidung passten zu dem durch Schweiß dunkleren Fell seines Streitrosses. Nur die lichtlosen Tiefen seiner Augen verrieten, dass er vermutlich nicht zufällig aus einem vornehmeren Reich, in dem ein freigebiger König oder eine Königin prunkvoll über einen Hofstaat voll trügerischer Anmut herrschte,
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