Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
daran beteiligt war, weckte ihre Zweifel.
»Linden ...« Der Regen dämpfte Liands Stimme. »... deine Verzweiflung ist offensichtlich. Du fürchtest, du könntest versagen. Aber hier steht Hilfe. Unter diesen Geschöpfen sind einige, die dir schon mit Lehre und Tapferkeit gedient haben. Jetzt stehen sie hier, und die Wegwahrer sind unter ihnen. Vielleicht können sie dir gemeinsam die Kraft zum Erfolg verleihen.«
Er war viel zu leichtgläubig – Covenant hätte ihn dafür verspottet.
Aus der Dämmerung heraus fügte Mahrtiir hinzu: »Die Ramen kennen einige dieser Urbösen seit langem. Sie haben zu unserem Vorteil gehandelt. Und sie haben Anele erhalten.«
Stave schwieg. Er hatte Esmers Wut gespürt und misstraute deshalb vielleicht den Motiven der Urbösen. Als auch Linden nicht antwortete, wandte der Steinhausener sich an Handir. »Du sprichst für die Meister«, sagte er lauter. »Welche Meinung hast du hierzu? Ich habe gehört, dass ihr einst lange und erbittert gegen solche Wesen gekämpft habt. Außerdem wünscht der Zweifler, dass die Auserwählte sich von ihnen fernhält. Willst du ihr gestatten, sich jetzt helfen zu lassen?«
Einige Augenblicke lang hörte Linden nichts als die rauen Appelle – oder Verwünschungen – der Dämondim-Brut. Dann antwortete Handir leidenschaftslos: »Von Stave haben wir einen Bericht über diese Geschöpfe erhalten ... und von dem Ur-Lord einen anderen. Wir können nicht wissen, wo in dieser Sache die Wahrheit liegt. Trotzdem brauchen wir hier keine Unterscheidung zu treffen. Wegwahrer stehen jetzt zwischen Urbösen. Wegen ihrer alten Verdienste um das Land ehren wir die Wegwahrer wie ihr die Ranyhyn. Wollen sie sich an den Handlungen dieser Urbösen beteiligen, werden wir sie nicht daran hindern.«
Covenant dagegen hatte die Wegwahrer abgetan, als sei ihre lange Treue nichts wert.
Der Lehrenkundige hielt noch immer die offene Hand ausgestreckt, war weiter bereit, sein eigenes Blut zu vergießen.
Vertrau auf dich selbst.
Bisher hatte sie fast nichts erreicht, was nicht von den Urbösen – und den Wegwahrern – ermöglicht worden war. Linden öffnete mit angehaltenem Atem ihre Rechte und bot sie dem Lehrenkundigen dar.
Rasch wie eine zustoßende Schlange, als fürchte das Wesen, sie könne ihre Meinung ändern, ließ es seinen unheimlichen Dolch über ihre Handfläche zucken und zog eine blutige Linie über ihren Daumenballen. Dann brachte der Lehrenkundige sich einen ähnlichen Schnitt bei, ergriff ihre Hand und drückte sie, sodass sein beißend scharfes Blut sich mit ihrem vermischte. Unwillkürlich spannte sie sämtliche Muskeln an, weil sie einen Ansturm von Kraft und Hochstimmung erwartete, der sie über sich selbst hinausheben und ihre Zweifel in Kraft und Gewissheit verwandeln würde.
An der Grenze des Wanderns hatte das Blut des Lehrenmeisters sie verwandelt, hatte ihre Übelkeit und Ängste, scheinbar selbst ihre Sterblichkeit verfliegen lassen. Auch diesmal wurde sie verwandelt – aber auf gänzlich andere Weise. Der Keil vor ihr, über hundert zu einem Chor vereinigte Wesen, rief neues Lehrenwissen für sie zu Hilfe, verlieh ihr dadurch neue Macht. Statt die Kraft galoppierender Ranyhyn zu spüren, erfuhr sie eine fast metaphysische Veränderung an sich, die zugleich ausgeprägter und subtiler war als nur Gesundheit und Energie und Wagemut. Die Wesen machten nicht Linden selbst kräftiger; sie stärkten ihren Gesundheitssinn, erweiterten seine Reichweite und sein Differenzierungsvermögen in fast unbegreiflichem Umfang. Jetzt hätte sie in die verschlossenen Herzen der Meister sehen können, wenn sie gewollt hätte. Teufel, sie hätte von jedem von ihnen Besitz ergreifen können ... Oder sie hätte die tiefsten Geheimnisse der Dämondim-Brut vor ihr ausforschen können. Diese Geschöpfe hatten ihr die Macht verliehen, die komplexen Hintergründe ihres eigenen Wyrds offenzulegen. Oder sie hätte die Ursachen für Covenants – und Jeremiahs – Fremdartigkeit enträtseln können. Jedenfalls wäre es für sie ein Leichtes gewesen, der überraschenden neuen Macht ihres Sohns auf den Grund zu gehen ...
Doch Linden merkte, dass sie nicht den Wunsch hatte, Derartiges zu tun – nicht den Wunsch und keine Zeit dafür. Die ihr verliehene Hellsichtigkeit, die solche Dinge ermöglicht hätte, machte ihr auch bewusst, dass diese Steigerung ihrer Fähigkeiten vorübergehend sein würde. Ihr blieben vermutlich nur ein, höchstens zwei Dutzend Herzschläge, um
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