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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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sich angewöhnt, niemals darüber zu reden, wenn er sich seines Gegenübers nicht sicher war.
    Nach unserer Rückkehr bekam ich eine Spritze, dann setzten sie wie jeden Tag das Training fort. Als ich beim Springpool schneller als sonst losließ, untersuchte mich Karol. Dort, wo mich der Tritt der Radfahrerin getroffen hatte, war meine Schnauze geschwollen. Er fluchte leise in sich hinein und kramte eine der Medikamentenschachteln heraus.
    »Was ist los?« fragte Domenico und stand auf einen Schlag neben uns.
    »Ein Hieb mit einem Knüppel oder ein Tritt«, sagte Karol. »Etwas angeschwollen, aber heil. In fünf Tagen ist das abgeklungen. Ich gebe ihm eine Dosis Kortison, dann ist er zur Convention wieder fit.«

Seid umschlungen, Millionen
    Donnerstag, 21. Dezember 2007, 00'00 Uhr. Am Grenzübergang Fernetti, über den die Hauptverbindungsader von Triest nach dem vierzig Minuten entfernten Ljubljana führt, begleitete ein Feuerwerk den jubelnden Applaus der viertausend Menschen aus dem Grenzland, die diesen Augenblick kaum erwarten konnten.
    »Es ist ein historischer Moment, der endgültig die Trennungen der Vergangenheit überwindet, die Diktaturen, Regime und Ideologien erzeugt hatten. Ab Mitternacht wird all dies der Vergangenheit angehören. Dann werden wir alle gemeinsam einer neuen Zukunft entgegenblicken …« Der Lautsprecher klang blechern.
    Im Blitzlichtgewitter demontierten Bürgermeister und Lokalpolitiker der an der einstigen Demarkationslinie gelegenen Gemeinden den Schlagbaum, vor dem die Menschen über Jahrzehnte im Stau gestanden hatten und so manche Demütigung der Zöllner auf beiden Seiten erfahren mußten. Niemand hat je hochgerechnet, wie viele Millionen Kofferräume geöffnet und durchsucht worden waren, wieviel Ware beschlagnahmt, Strafanzeigen ausgestellt und Menschen festgenommen oder zurückgeschickt worden waren. Niemand, der je an einer Grenze gewohnt hat, kann von sich behaupten, kein Schmuggler gewesen zu sein. Benzin und Heizöl, Zigaretten, Wein und Fleisch, Kaffee und Bluejeans, Meeresfrüchte, Devisen, Drogen, Waffen und Menschen. Wer im Landesinneren wohnte, hatte keine Ahnung davon, was alles illegal eingeführt wurde.
    »… und mögen unsere Völker von diesem Tag an ein besseres Europa zu gestalten wissen, ein Europa ohne Grenzen und der Freundschaft zwischen Nachbarn …«
    Die Reden an diesem Abend troffen vor falschem Pathos, dauerten dafür nicht besonders lange. Diese Nacht war ein Volksfest, die fröhlichste Party, die Stadt und Umland seit Jahrzehnten erlebten. Endlich erweiterte sich die Schengen-Zone. Damit fiel die Grenze hinter dem Haus, wie man in der Stadt zu sagen pflegte. Triest und seine Umgebung hatten endlich wieder ein direktes Hinterland. Die Gegend war nicht mehr der nordöstlichste »Wurmfortsatz« Italiens, eingesperrt von Schlagbäumen und einer Grenzziehung, die noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammte. Winston Churchills Wort von der Stadt am südlichen Ende des Eisernen Vorhangs war für immer Vergangenheit. Über sechzig Jahre mußten vergehen, bis über Nacht die Menschen beidseits der Demarkationslinie freie Fahrt erhielten. Seit Wochen beschäftigte sich die Lokalpresse mit den Veränderungen und sprach von grenzenlosen Perspektiven für Triest. Und die Politiker redeten auf einmal von einer gemeinsamen Geschichte dieses Teils Italiens und Sloweniens, obgleich sie es waren, die in jedem Wahlkampf bislang die Grenzziehungen und das Trennende dumpf populistisch ausschlachteten. Es gibt nichts Älteres auf der Welt als die Zeitung von gestern und das Wort eines Politikers. Jetzt sprachen alle plötzlich mit Unschuldsmiene von einer Zukunft und einer Kultur, für ein Wachstum und für einen Frieden.
    »… und hier kommen unsere Sportlerinnen, unsere Weltmeisterinnen und Olympiasiegerinnen, die das Ansehen der Republiken Slowenien und Italien in der ganzen Welt hochhalten … Bitte machen Sie Platz für die Kutsche.«
    Der Vierspänner – ein von lammfrommen Lipizzaner-Wallachen gezogener Esterházy-Wagen – kam nur langsam voran. Die Athletinnen warfen ihre blonden Handküßchen in die Menge und bemühten sich, das verordnete Lächeln nicht zu vergessen.
    Im Niemandsland zwischen den beiden Grenzkontrollstationenwar ein simples Festzelt aufgebaut, und eine Großleinwand übertrug das Geschehen für alle, die sich lieber draußen tummelten, wo der Wein des Karsts in Strömen floß. Ein Postamt auf vier Rädern gab Sondermarken aus, und eine

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