Die Ruhe Des Staerkeren
langer Tresen zog sich durch den Saal, über dem zwischen deutscher Brauereireklame eine handgeschriebene Tafel die Tagesgerichte anzeigte. Pina brauchte lange, bis sie sich endlich für eine Jota und ein kleines bayrisches Bier entschied. Sie setzte sich abseits der Leute an einen Tisch und schüttelte sich beim ersten Schluck. Dann löffelte sie sachte die dampfende Suppe und dachte über die Fundstücke in dem Wagen Marzio Manfredis nach.
Die Kollegen hatten schachtelweise Medikamente zutage gefördert: Anabolika, Kortison, Schmerzmittel, Adrenalin, Blutungshemmer, Vitamincocktails. Was zum Teufel wollte der Spezialist für tote Tiere mit dieser Schreckensmedizin?Zerial, der Pathologe, den sie telefonisch konsultiert hatte, war es schwergefallen, die Namen auf den Packungen zu erklären. Fotos von Hunden lagen in Manfredis Wagen sowie ein kurzes Stöckchen aus Hartplastik, das Bißspuren aufwies und das der Chef der Spurensicherung als Breaking-Stick bezeichnete, den man zwischen die Kiefer ineinander verbissener Kampfhunde schob, um sie aufzuhebeln.
Pina bestellte noch ein kleines Bier und ein Brötchen mit gekochtem fettigen Schweinebauch und Kren, einer ordentlichen Dosis frisch geriebenem Meerrettich. Diese Wurzel hatte sie erst in Triest kennengelernt. Die kleine Kalabresin liebte die Schärfe, die ihr die Tränen in die Augen trieb und in der Nase brannte. Ihrem Magen ging es schlagartig besser.
Also Kampfhunde. Konnten die Namen in Manfredis Aufzeichnungen und die Beträge dahinter Indizien auf verbotene Hundekämpfe sein? Davon hatte sie in Triest noch nie gehört. Antonio Sgubin, ihr Vorgänger in Laurentis Dienststelle, hatte ihr am Sonntag eine denkwürdige Geschichte erzählt, als er sie im Krankenhaus von Nova Gorica abholte und nach Hause brachte. In Gorizia war ein arbeitsloser Mann von seinem eigenen Mastiff angefallen und böse zugerichtet worden. Als er nach mehreren Eingriffen endlich vernehmungsfähig war, gab er zu Protokoll, daß er das Tier auf Kämpfe abgerichtet hatte. Menschen gegenüber sei es jedoch stets friedlich geblieben. Die Kämpfe fanden angeblich immer anderswo statt, im Veneto, in der Lombardei und auch jenseits der Grenze in Slowenien und Kroatien. Wer einen berühmten Hund hatte, wurde aber auch nach Norddeutschland oder Holland eingeladen. Und immer erstklassiges Publikum: Banker, Immobilienmakler, Ärzte, Notare, Beamte und Zuhälter.
Wer konnte Vergnügen daran finden, daß zwei Tiere sich umbrachten? Der Kunde Sgubins hatte angegeben, daß er sein Geld mit Wetten verdiente. Mehr war aus ihm nicht herauszubringen.Es gab eine Anzeige wegen Tierquälerei, das war alles. Dieser Mann hatte seine Strafe schließlich schon bekommen, sein Gesicht war so entstellt, daß in Zukunft selbst ein Mastino Napolitano vor ihm Angst bekam.
Pina humpelte an ihrem Stock zum Tresen und bezahlte. Sie beschloß, trotz der Schmerzen in der Ferse keinen Streifenwagen zu rufen, sondern langsam ins Büro zu gehen. Nachdem der Magen wieder funktionierte, spürte sie nun den Alkohol. Frische Luft würde ihr guttun.
Als sie die Piazza Sant’Antonio überquerte und sich den Weg durch die Verkaufsstände des Weihnachtsmarkts bahnte, die in diesem Jahr noch billigeren Ramsch als sonst anpriesen, beschloß sie, einen Abstecher in das große Zelt zu machen, das den Platz vor dem Canal Grande einnahm. »Lebende Krippe« stand auf einem Transparent über dem Eingang. Um diese Zeit war das Zelt fast leer, die Familien zu Hause beim Mittagessen. Pina humpelte an Schafen und Eseln vorbei, an einer Kuh mit prallvollem Euter, bei deren Anblick sie an Marietta dachte, ein Lama, in dessen zottigem Fell sich frisches Stroh verfangen hatte, glich dem Staatsanwalt. Um ihren Fuß zu schonen, machte sie schließlich länger vor einem Kamel halt, das sie mit großen traurigen Augen anblickte und dabei den Unterkiefer hin- und herschob. Es erinnerte sie an den alten Galvano, dessen mächtiger Schädel auf seinem langen Hals ebenfalls in Disharmonie zu seinem Körper stand und dessen Blick manchmal so geheimnisvoll leer sein konnte. Nur Josef und Maria und das Jesuskind fehlten, auch sie saßen vermutlich gerade am Eßtisch. Pina fragte sich, während sie das Kamel anstarrte, ob sie den alten Gerichtsmediziner doch noch konsultieren sollte, was diese Medikamente betraf. Der Alte hatte in seinem Leben schon mehr als alles gesehen. Und dann überlegte Pina, wie sie eigentlich die Weihnachtstage verbringen sollte.
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