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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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der anderen kaperte.
    So erfuhr schließlich auch Proteo Laurenti, daß es in den Sommerferien geschehen war, unten am Strand, morgens um halb fünf, als sich die Sonne bereits über den Karst hob und das warme Meer mit ihrem ersten safrangelben Licht bedeckte. Es sei die große Liebe. Wirklich! Patrizia hatte Gigi erst vor kurzem kennengelernt. Ein Triestiner, sieben Jahre älter als sie und Erster Offizier auf einem Containerschiff des Triestiner Lloyd. Dieser Gigi fuhr auf der Linie Valencia– Vancouver, war vier Monate auf See und hatte anschließend zwei Monate frei, bevor er wieder losmußte.
    »Ein Seemann?« fragte Proteo ungläubig. Seinen zukünftigen Schwiegersohn hatte er sich, wenn überhaupt, anders vorgestellt.
    »In zwei Jahren wird er Kapitän. Mach dir keine Sorgen!«
    »Und wer kümmert sich um das Kind?«
    »Ich bin mir sicher, du wirst es nicht mehr hergeben wollen, Papà.« Patrizia schmiegte sich in seinen Arm.
    »Aber dieser Gigi, wenn der ständig unterwegs ist, wird es sich doch gar nicht an ihn gewöhnen können. Und du bist in Neapel.«
    »Ich komme zurück nach Triest, Papà.« Patrizia strahlte.
    »Noch eine Neuigkeit«, brummte Laurenti.
    »Es ist nicht gut, wenn das Kind so weit weg vom Vater aufwächst. Und Gigi freut sich auch schon.«
    Ein Seemann, ein Kind und Patrizia zurück nach Triest. Laurenti hatte sich die Zukunft seiner Tochter anders ausgemalt. Er wollte nicht, daß sie ihren Beruf aufgab wie so viele, die es später bereuten. Und wenn schon, dann hätte sie sich auch einen anderen Mann angeln können, keinen, der wie er bei offiziellen Anlässen Uniform tragen mußte. Doch Patrizias Zuversicht überzeugte ihn schließlich. Sie saßen bis halb eins zusammen, als Marco und Livia hereinplatzten, die auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause ganz offensichtlich mehr als ein Glas getrunken hatten. Und sie stanken nach Rauch, der eindeutig nicht von Zigaretten stammte. Einen zweiten Streit an diesem Abend wollte Proteo Laurenti aber nicht im Haus haben.

Auf dem Weg zum Abgrund
    Die Autofahrt dauerte ewig. Nur drei Stops gab es während der fast zwölfstündigen Reise, bei denen ich ein bißchen Bewegung bekam. Seit sechs Tagen sind wir jetzt schon hier, in dieser Villa fremder Leute, die lange nicht gelüftet wurde und stockig roch, als wir ankamen. Die einzige Heizung ist ein loderndes Holzfeuer im Kamin. Das Anwesen, das von einem weitläufigen Grundstück umgeben ist, liegt auf einer Hochebene, von der in der Ferne das Meer zu sehen ist, dessen salzigen Geschmack ich auf der Zunge wahrnehme. Eine hohe Mauer aus grauem Bruchstein schützt das Grundstück vor Einblicken von der Straße, zur anderen Seite fällt es leicht ab. Spitze, vom Regen ausgewaschene Kalksteine ragen aus der erzroten Erde, auf der weiter unten Weinstöcke mit nackten Ästen stehen. Wie von Draht und Pflöcken aufrecht gehaltene Skelette im Kampf mit der Natur geschlagener Soldaten heben sie sich vom Horizont ab, den Friedhöfen für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs ähnlich, die es hier überall gibt.
    Es ist spürbar wärmer als zu Hause, obwohl auch hier Winter ist. Eine milde Dezembersonne dringt manchmal durch die Wolkenschicht, und die Vegetation sieht dann aus, als stünde sie in Flammen. Leuchtendrote Blätter hängen noch an den Büschen. Nur das Wasser im Schwimmbad, in dem ich zwei Stunden täglich meine Muskulatur in Form halten muß, ist kalt, aber wenn ich schnell schwimme, macht mir das nichts aus. Wenn sie mich wieder herausholen, bin ich so entkräftet, daß sie mich danach länger als üblich massieren und sich am Abend das Lauftraining neben dem Fahrrad her um eine halbe Stunde verzögert. Aber natürlich habe ich schon seit dem frühen Morgen mein Programm absolviert.
    Das rohe Fleisch hier schmeckt anders, aber das kann daran liegen, daß sie mir seit der Ankunft andere Arzneimittel geben, die sie mir ins Maul stopfen und es zuhalten, bis ich sie geschluckt habe. Und zwei Spritzen bekomme ich in die Flanken, eine morgens, die andere nach der Mittagspause. Karol, seit einem halben Jahr mein Trainer, war nervös, weil er nach unserer Ankunft die bestellten Medikamente nicht vorfand. Domenico, der mich damals auf dem Bauernhof abgeholt hatte, wo ich aufgewachsen war, beschimpfte ihn deshalb. Domenico drohte, daß der Chef sie beide fertigmachen würde, wenn sie die Aufputschmittel nicht auftreiben könnten und ich deshalb verlöre. Karol telefonierte lange mit den verschiedensten Leuten.

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