Die Ruhe Des Staerkeren
entgegeneilten. Dann Barroso und Sócrates, die aus dem Hubschrauber stiegen. Bilder der Polizeiorchester und knappe Auszüge aus den Reden folgten. Schließlich änderte sich der Tonfall der Moderatorin. Sie berichtete plötzlich von einem Blutbad am Rande der Zeremonie. Der Geräuschpegel in der Bar sank merklich. Alle schauten gebannt auf den Fernseher. Die erste Sequenz zeigte eine mit einem Tuch bedeckte Leiche, die in einen Zinksarg gehoben wurde. Ein alter Mann beugte sich über den Kopf des Toten und begutachtete die Wunde. Und dann sagte die Moderatorin mit einem besorgten Blick in die Kamera: »Die folgenden Bilder haben uns soeben die Kollegen vom slowenischen Fernsehen überspielt. Der einflußreiche Finanzinvestor Goran Newman wurde auf der Heimfahrt das Opfer eines heimtückischenAnschlags unter einer Autobahnbrücke.« Über den Bildschirm schwirrten Bilder von den Trümmern eines silbergrauen Mercedes, an dem vermutlich nur das Nummernschild heil geblieben war: DUKE1. »Mit ihm fanden auch seine Begleiterin und ein Sicherheitsbeamter den Tod. Die Männer im zweiten Begleitfahrzeug erlitten schwere Verletzungen. Die Polizei hüllt sich in Schweigen. Bis jetzt ist unklar, ob es sich um einen Anschlag mit politischem Hintergrund handelt, um eine private Abrechnung oder um ein Verbrechen im Umfeld der Organisierten Kriminalität.«
Dean bestellte die dritte Runde Wein und Grappa, so langsam fühlte er sich wieder in Form. Er bezahlte und verließ das Lokal, um seine Einkäufe zu machen, bevor die Läden schlossen.
*
Marietta war frisch geschminkt und schon auf dem Absprung, als die hinkende Inspektorin um 18 Uhr das Büro betrat. Sie war nicht kleinzukriegen. Im roten Minirock mit roter Bluse hatte Marietta sie jedoch noch nie gesehen.
»Wie siehst denn du aus?« kreischte sie und zeigte mit dem Finger auf ihre Kollegin. »Das ist ja wirklich grell! Sag das nächste Mal Bescheid, dann komm ich mit zum Klamottenkaufen und berate dich. Gleich im neuen Jahr zu Beginn des Winterschlußverkaufs.«
»Du willst jetzt nicht etwa gehen?« fragte Pina entrüstet. »Die Ermittlung läuft auf Hochtouren. Der Chef braucht jeden verfügbaren Mann.«
»Das ist Sache der Kollegen aus Rom«, antwortete Marietta schnippisch. »An so etwas lassen die uns doch gar nicht erst ran.« Sie wußte nichts vom Streit Laurentis mit Biason und ließ sich rasch von Pina unterrichten.
»Trotzdem muß ich los«, sagte Marietta. »Die sind tot, keinerkann sie wiederbeleben, und ich bin schon spät dran. Wenn’s wirklich brennt, hast du ja meine Telefonnummer. Überarbeite dich nicht.«
So saß Pina alleine in der verlassenen Abteilung und versuchte die Zusammenhänge zu skizzieren. Sie kam nicht weit. Und auch Laurenti meldete sich nicht. Nach einer Stunde wählte sie seine Nummer – der Commissario ging nicht ran. Pina schaute die Meldungen durch. Es war adventlich friedlich geblieben an diesem Samstag – außer einer Schlägerei zwischen zwei betrunkenen Weihnachtsmännern in einer Bar, ein paar kleineren Ladendiebstählen sowie drei leichten Verkehrsunfällen war nichts passiert. Nur in das Pfarrhaus der Kirche Santissima Trinità war während der Abendandacht eingebrochen und die für Bedürftige gespendeten fünftausend Euro gestohlen worden. Solche Menschen sollte man aus der Kirche ausschließen. Noch dreimal rief sie Laurenti an, probierte es zwischendurch auch bei Sedem, aber ohne Erfolg. Dann eben nicht.
Irgendwann nahm sie mißmutig ihren Stock und machte sich auf den Heimweg. Vor vielen Bars standen die Raucher unter den Heizpilzen, die seit der Einführung des Rauchverbots zum Verkaufsschlager geworden waren, aus den Lokalen selbst klangen die üblichen Weihnachtsmelodien. Die fröhlichen Menschen mit den vielen Einkaufstaschen gingen Pina auf den Wecker. Wo sie konnte, schlug sie einen weiten Bogen um sie.
Der Anschlag auf Edvard ließ ihr keine Ruhe. Warum war Sedem so gelassen geblieben? Warum beantwortete er ihre Anrufe nicht? War er tatsächlich beleidigt, weil sie vor lauter Pflichtbewußtsein nicht mit ihm gegangen war? War er so empfindlich? Was sollte überhaupt aus ihrer Liebschaft werden? Ein gelähmter amerikanisch-slowenischer Millionär und eine aus kleinen Verhältnissen stammende Polizistin aus Kalabrien? Das waren unmögliche Voraussetzungen. Weshalbwohl hatte sie sich einst zu der Tätowierung auf ihrem Bizeps entschieden? Basta amore!
Zu Hause schaltete sie den Fernseher ein und
Weitere Kostenlose Bücher