Die Ruhe Des Staerkeren
sich von den anderen Beamten zu verabschieden, setzte er sich in seinen Wagen. Er zögerte einen Augenblick, überlegte, ob er noch einen Blick ins Büro werfen sollte, doch dann wählte er Mariettas Nummer. Er hörte Stimmengewirr und schrilles Gelächter im Hintergrund, als sie endlich abnahm.
»Und danach gehen wir alle zu mir«, hörte er sie noch den Satz vollenden, bevor sie ihre Stimme zügelte. »Pronto, was ist los, Proteo? Du willst mir doch hoffentlich nicht den Abend versauen?«
In welcher Kneipe hing sie jetzt schon wieder herum? Und mit wem? Laurenti kannte ihre Launen und ihren Tonfall. Sie war vermutlich wieder von einer Gruppe deutlich jüngerer Männer umringt, die ihre Blicke nicht von ihrem abgrundtiefen Dekolleté lösen konnten. Das Fest der Liebe stand vor der Tür.
»Die Kriminaltechniker werden heute abend noch dieBänder der Videoüberwachung von der Zeremonie abliefern. Sie müssen mit scharfem Auge begutachtet werden.«
»Und wen soll ich damit beauftragen? An wen hast du gedacht?«
»An dich, Marietta! Egal wann du es machst, morgen früh um elf will ich einen vollständigen Bericht.« Er legte auf, bevor sie widersprechen konnte, dann stellte auch er das Blaulicht aufs Dach. In drei Tagen feierte man Christi Geburt. Himmelfahrt hätte besser gepaßt. Halleluja!
»Gibt es eigentlich in diesem Haus auch etwas zu essen?« fragte Laurenti schließlich, als die Neugier der weiblichen Mehrheit der Familie endlich gestillt war.
»Pizza«, sagte Laura kurz und nahm einen Schluck Prosecco. »Wir hatten keine Lust zu kochen und haben Pizza bestellt. Es wird auch für dich reichen.«
So war das also. Am Tag der großen Zeremonie, am Tag der Attentate und Morde, nach einem Tag des Gehetzes und der Wutanfälle, an einem der schlimmsten Tage seiner Karriere mußte er sich mit einem Stückchen Pizza zufriedengeben. Gott war gegen die Polizei, das stand inzwischen fest, und die Welt war ungerecht.
Stille Nacht
Ich werde gepflegt. Der Raum, in dem ich liege, ist blitzblank und hat eine angenehme Temperatur. Die Frau im weißen Mantel, die ihr blondes Haar hochgesteckt hat, kommt jeden Morgen und jeden Abend. Mit sanfter Stimme ruft sie mich Majhen Miška, kleine Maus. Vermutlich nennt sie alle ihre Patienten so. Die anderen Menschen reden sie respektvoll mit Zdravnica an, Doktorin. Sie hat eine besorgte Miene, wenn sie sich über mich beugt. An der Wand hängt eine durchsichtige Plastikhülle mit meinen Papieren. Das vorderste Blatt zeigt mehrere gezackte Linien, eine führt immer weiter nach oben. Sie ist rot.
In der Zeit zwischen ihren Besuchen schauen andere nach mir und wechseln die Verbände, kontrollieren die Flüssigkeit in dem Beutel, der über mir hängt und von dem ein Schlauch in mein Vorderbein führt. Einmal am Tag wechseln sie ihn aus. Sie messen meinen Pulsschlag, das Fieber, den Blutdruck, hören meinen Brustkorb ab, betasten das Gewebe im Bereich meiner Wunden, waschen sie und erneuern den Verband. Manchmal heben sie mich an, wechseln die Unterlage und bringen mich in eine andere Position. Ich kann mich noch immer nicht bewegen, mache aber auch gar keinen Versuch. Ich bin zu schwach. Die beiden Riemen, mit denen ich fixiert bin, brauchte es gar nicht. Reflexe zeige ich nur, wenn ich draußen andere Hunde höre. Manche jaulen oder quietschen, andere bellen. Dann beschleunigt sofort mein Puls, und mein Adrenalinspiegel rast nach oben.
Sonnenschein dringt herein, wenn die Tür geöffnet wird. Die blonde Frau kommt wieder. Mahjen Miška, sagt sie noch einmal. Und dann: Armer Kerl, es tut mir leid. Sie schüttelt sanft den Kopf und zieht eine Spritze auf.
Ich höre noch, wie die Tür ins Schloß gezogen wird. Dann wird es rasch dunkel und mein Atem flach.
Der siebte Tag
»Wir werden einen wunderbaren Heiligabend verbringen«, sagte Laura fröhlich, während Proteo Laurenti sich vor dem Spiegel im Bad frisierte. »Meine Schwester Marta hat gerade angerufen, sie kommt auch und bringt Mutter mit.«
»Um diese Zeit am Sonntagmorgen?« Es war gerade acht Uhr vorbei, in Familien gab es einfach keine Skrupel, zur Unzeit anzurufen. Proteo trug Rasierschaum auf.
»Ich freue mich riesig«, strahlte Laura.
»Und wer bestellt die Pizza für den Festschmaus?« Proteo griff zum Rasiermesser.
»Sie kommen schon heute nachmittag und bleiben bis zum Sechsundzwanzigsten. Sie schlafen in Patrizias Zimmer und sie so lange bei Livia.«
Damit stand es sechs zu zwei für die Frauen, Marco
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