Die Ruhe Des Staerkeren
und fuhr wenig später unbehelligt über den Grenzübergang Pesek und danach hinunter ins Zentrum Triests.
Weiße Wellenhunde peitschten über das nachtschwarze Meer, in das er die Pistole warf. Die Gischtkämme jagten immer heftiger gegen die Molen des Triestiner Hafens, nur mit einem heftigen Sprung zurück entkam Dean einem der Brecher. Die Bora nahm kontinuierlich an Stärke zu, doch der Himmel war klar. Die ersten Sterne funkelten über dem Meer, an Heiligabend wäre Vollmond. Dean machte ein paar Schritte über den Parkplatz, dessen Asphalt unter dem Schein der Weihnachtsbeleuchtung entlang der Rive dunkel glänzte. Nach ein paar Metern hatte er gefunden, was er suchte. Oft genug war ihm aufgefallen, daß die Triestiner die Parkscheine, die sie aus dem Automaten zogen, aus dem Wagen warfen, wenn sie wegfuhren. Der Wind trieb sie an den Rand eines Blumenbeetes, wo sie sich in einem trockenen Strauch verfingen. Dean hob einen nach dem anderen auf und hielt sie ans Licht. Die Uhrzeit des fünften paßte. Er war sein Alibi.
Dean wartete vor der Stazione Marittima und sah bald im Rückspiegel die Lichter des anderen Autos nahen. Er schwitzte stark und hatte einen Riesendurst, doch zuerst mußte er sich freikaufen. Er stieg aus und ging zu dem Fahrzeug hinüber, dessen Tür demonstrativ offenstand. Er ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Sitz fallen.
»Wie war die Zeremonie, Dean?«
»Feierlich«, antwortete er. »Ergreifend. Endlich sind die Grenzen weg und mit ihnen die Kontrollen.«
»Freu dich nicht zu früh. Hast du die Ware?«
Dean schlug vorsichtig das Revers zurück, damit der andere sah, daß er keine Waffe zog, und kramte aus der Innentasche ein dickes Bündel Banknoten hervor.
»Zweihundertfünfzigtausend. Du weißt so gut wie ich, daß ich nicht mehr an den Stoff komme.«
Der andere zählte gemächlich die Banknoten durch und klopfte mit dem Bündel selbstgefällig auf seinen Schenkel.
»Dein Pech, Dean, und auch dein Glück. Du weißt, die Freunde aus Quarto Oggiaro verstehen keinen Spaß.«
»Ich brauch neue Ware. Hast du sie dabei?«
Der andere nickte und zog ein backsteingroßes Bündel hervor, das in die Plastiktüte eines Supermarkts in Izola verpackt war. »Hast du etwa noch mehr Kohle dabei? Für Cash kannst du haben, was du willst.«
»Das kannst du nicht verlangen.«
»Doch, wie du siehst. Du giltst als kritischer Fall, dem man nicht mehr hundertprozentig vertrauen kann. Also, melde dich, wenn du wieder bei Kasse bist.«
Dean machte keine Anstalten auszusteigen, als könnte er so die beiden Typen auf den vorderen Sitzen davon überzeugen, daß sie im Unrecht waren.
»Los, Dean, raus jetzt«, sagte der Fahrer. »Es zieht.«
»Ihr wißt, daß meine alten Kontakte nach wie vor funktionieren. Mir ist nicht nach Scherzen zumute.« Seine Stimme klang trotzig, doch seine Drohgebärde verpuffte ohne Echo.
»Ein Teil davon waren wir. Raus jetzt. Verschwinde.«
Wütend knallte er die Autotür hinter sich zu, daß der Wagen bebte, dann schlich er sich mißmutig davon. Das würden sie bereuen. Er kannte schließlich die Tricks und war besser als diese Typen. Was war eigentlich los? Alle seine Partner wendeten sich auf einen Schlag gegen ihn. Sobald sich die Wellen gelegt hätten, würde er zum Gegenschlag ausholen. Mit seinem ehemaligen Chef und Förderer, der fett in derVilla eines Russen am Wörthersee saß, würde er beginnen. Und den Kerlen aus Izola würde es kaum anders ergehen, wenn sie danach nicht spurten. Klar, daß sie davon hören würden, wenn er mit Mervec fertig war. Sie hätten dann noch genau eine Chance.
Er ging los, um die nötigsten Weihnachtsgeschenke zu besorgen, die sein Alibi erhärten sollten. Doch bevor Dean den ersten Laden betrat, brauchte er etwas zu trinken. Seine Kehle war ausgetrocknet, sein Mund klebrig. Und er roch seinen eigenen Schweiß. Er drängte sich an den Tresen der Bar Unità, die an einer Ecke vor dem Rathaus an der großen Piazza lag. Dean bestellte Weißwein und Grappa, die er beide in einem Zug hinunterstürzte. Er verlangte Nachschub und hob den Blick zu dem Großbildschirm, auf dem sonst Musikvideos liefen oder Fußballspiele übertragen wurden. Heute flimmerten in den Abendnachrichten Bilder der Zeremonie über den Schirm, Großaufnahmen von Prominenten, Politikern, Wirtschaftsleuten. Und auch von der Ankunft Dukes, wie er und Vera dem Mercedes entstiegen und, von Personenschützern umringt, dem Eingang des pompösen Festzelts
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