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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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ihm mit keiner Faser ihres Wesens zugeneigt war, entging ihm nicht, er spürte es in jeder einzelnen seiner Zellen – und lernte damit zu leben. Er hatte schnell begriffen, dass sie alles und jedes, das er ihr vorschlug, ausnahmslos ausschlug. Ihr Trotz war das letzte Überbleibsel ihres einst so fröhlichen Lebensmutes, das letzte Fünkchen Lebendigkeit, das in diesem beeindruckenden und so wendigen Körper durchgehalten hatte. Traurige Ironie, dass dieses bisschen Selbst, das da noch irgendwo in ihr atmete, ein fremdbestimmtes war, denn was anderes als Fremdbestimmung war schon Trotz?
    Die Staffelei, die er ihr ins hintere Winterzimmer gestellthatte, rührte sie nicht an. Und mit wachsender Traurigkeit nahm er wahr, dass die Melodien, die sie auf dem Pianino anstimmte, von Tag zu Tag düsterer und monotoner wurden.
    Indes, Lazzaro war nicht nur ein präziser Denker, er war auch ein anspruchslos Harrender. Seine ganze Kindheit und Jugend lang, die von Hänseleien und Übergriffen, von körperlichen wie seelischen Quälereien geplagt waren, wusste er, seine Zeit würde kommen. Und so hatte er Tag für Tag Neues dazugelernt, hatte sich den geschmähten Beruf des Gerbers angeeignet, hatte sich dazu gedrillt, gelassen mit sich selber und seiner Größe umzugehen, hatte geübt, gerade zu stehen und anderen aufrecht ins Gesicht zu blicken, selbst wenn der Winkel, den er zu überwinden hatte, zumeist um die 18 Grad ausmachte. Mit der Zeit und einem anwachsenden Vermögen hatte es Lazzaro Israël schließlich geschafft, ein geachtetes Mitglied der israelitischen Gesellschaften von Ferrara, Florenz und Livorno, den ganzen Arno entlang, zu werden. Sein Name war bekannt.
    Und so wollte er es auch bei der Eroberung dieser verschlossenen Frau halten. Still und anspruchslos dulden, dass die Türe zu Costanzas Zimmer zugesperrt war und er ergebnislos mit dem Handrücken dagegenklopfte.
    War die Hautevolee im Umgang mit dem Kleinwüchsigen schon immer etwas gehemmt, so befremdete sie das ungleiche Ehepaar nun umso mehr. »Der langer Schabbes mitn kurzn Freitig« wurden sie genannt, und so gab Lazzaro Israël aus Rücksicht auf seine Frau keine Empfänge. Seine geschäftlichen Verhandlungen tätigte er weitestgehend in seinem Kontor oder direkt vor Ort in der Fabrik, gesellschaftsorientierte Konversation benötigte er keine. Alles ohnehin nutzloses Geschwafel, die Leute reden gerade mal so, wie der Wind weht, da ist kein Verlass, kein Bestand, nichts von Bestand. Trost fand er hingegen in der verlässlichenBeständigkeit seiner Frau und in ihrer Ablehnung ihm gegenüber, und obwohl er wusste, dass dies ein irriger Trost war, begann er doch, sich in genau dieser Ablehnung zu Hause zu fühlen.
     
    Als er am 8. Dezember des Jahres 1856 spät abends von seinen anspruchsvollen Unternehmungen heimkehrte – die Arbeiter hatten einen Aufstand versucht, weil sie eine höhere Arbeitssicherheit im Umgang mit den chemischen Farbstoffen forderten –, setzte er sich müde an den Tisch, den ihm allabendlich Costanza bereithielt. Den frischen Tomatensalat verspeiste er mit sichtlichem Genuss, die dampfende Cacciucco mit den nahrhaften Miesmuscheln, den Kraken und dem Tintenfisch, den Heuschreckenkrebsen und den geschmeidigen Salbeiblättern, die zwischen mächtigen Garnelen wie Samtfähnlein im Rot der Suppe schwammen, bewunderte er in gewählt zarten Worten; aber seine Hand blieb brav liegen, er spürte ihren Blick darauf, der zugleich ängstlich über ihr eigenes Hoheitsgebiet, ihren Körper, wachte. Dann sagte er ohne Vorankündigung, ohne Einleitung, einfach so: »Costanza, ich möchte dich bitten, die Tür zu deinem Zimmer heute Nacht offen zu lassen.«
    Sie zeigte keine sichtbare Reaktion, aber er spürte, dass er sie mit dieser Bitte im Innern getroffen hatte. Er kannte Costanzas Vater, seit der Zeit der Eheschließung hatte er auch beruflich mit ihm zu tun, und er wusste, dass er ein Mann des Herrschaftswortes war, kein Bittsteller, nie. Die Geduld, die Lazzaro seiner Frau lange gezeigt hatte, sowie diese schlichte Bitte hatten sie getroffen. So etwas kannte sie nicht, es war nicht vorhanden als Schema in ihrem dürftigen Verhaltensrepertoire: Sie dachte nach.
    Nach dem Essen schenkte sie ihm wortlos ein Glas Rotwein ein. Dann, als er ausgetrunken hatte, stand sie auf, trug das Geschirr in die Küche und begann den Abwasch. Es warihr Wunsch, zumindest abends kein Dienstpersonal zu beschäftigen, sie fühlte sich ganz offensichtlich

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