Die Runen der Erde - Covenant 07
an. Eine Gestalt voll Macht und Schmerz ...
... die darauf verzichtet hatte, die Neuankömmlinge im Kreis der Ramen zu begrüßen oder am gemeinsamen Mahl teilzunehmen. In den umschatteten Augen der Mähnenhüterin konnte ebenso gut Ungeduld oder Angst, Mitgefühl oder Misstrauen stehen.
»Weil du nun deinerseits auf die Probe gestellt wirst«, fuhr Hami fort, »will ich dir erzählen, dass es Esmer war, der uns dazu überredet hat, eilig zur Grenze des Wanderns zu ziehen. Er hat uns mitgeteilt, dass die Ring-Than bei ihrer Rückkehr in Gefahr geraten würde. Und er hat die Urbösen gerufen, damit sie dir wie wir beistehen konnten, denn er ist der Einzige unter uns, der ihre Sprache spricht. In der Tat«, fügte sie hinzu, »sind wir ihnen wegen seiner Gegenwart oder auf seinen Ruf hin schon häufig begegnet, seit wir uns dem Land genähert haben. Wir hegen die Hoffnung, dass sein Wissen uns befähigen wird, in Angelegenheiten, die über unseren Horizont hinausgehen, unseren Platz zu erkennen.«
Plötzlich durchbrach Stave den Kreis, den Hamis Seilträger um Linden gebildet hatten. Sein muskulöser Leib strahlte wilde Entschlossenheit und Kampfbereitschaft aus.
Als der Haruchai sich in Bewegung setzte, schrie Liand laut auf: ein gepresster Schrei, unerwartet besorgt. Im selben Augenblick spürte Linden die Anwesenheit eines unsichtbaren Geistes wie einen scharfen Stich im Nacken. Sie drehte sich instinktiv nach dem Steinhausener um.
Zwischen den Ramen in seiner Nähe erschien am Rand des Versammlungsplatzes ein Keil Dämondim-Brut, als hätte Hami die Urbösen herbeigerufen. Die schwarzen Wesen bellten untereinander leise, während sie vorrückten. Aber das klang nicht bedrohlich, und die Ramen ließen keine Angst, sonder nur leichte Nervosität erkennen. Keiner der Urbösen war bewaffnet.
Waren sie hier, weil Hami Esmer hatte rufen lassen? Oder weil Linden selbst in Gefahr war?
Liand drängte sich angstvoll und verwirrt durch die Ramen, um sich wie Stave neben sie zu stellen. Beide schienen zu glauben, von den Urbösen gehe irgendeine Gefahr aus.
Linden wandte sich wieder der Mähnenhüterin zu. »Hami ...?«
Hami hob die Hände, um ihre Fragen abzuwehren. »Ich weiß nicht, weshalb sie gekommen sind. Wir haben sie nicht erwartet. Aber sie haben uns nie Grund zur Feindseligkeit gegeben. Seit wir wissen, dass sie in diesen Bergen leben, haben sie uns nichts Böses getan. Stattdessen haben sie uns auf Esmers Befehl sogar einige Male geholfen.«
Linden runzelte die Stirn, um zu verbergen, was sie dachte. Konnte Esmer mit den Urbösen reden, würde er vielleicht imstande sein, viele ihrer Fragen zu beantworten.
»Ring-Than«, fuhr die Mähnenhüterin hastig fort, »unsere Proben brauchen dich nicht zu beunruhigen. Sie erfordern lediglich, dass du dich ihnen unterziehst. So!« Sie breitete die Arme aus, trat vom Lagerfeuer weg und zog sich in den Kreis ihrer Seilträger zurück.
Links von ihr wichen die Ramen zurück, sodass eine Gasse entstand, und im Feuerschein kam ein Mann mit nervösen kleinen Schritten in die Mitte des Versammlungsplatzes.
Beim ersten Anblick wurde Linden fast übel, weil ihre Magennerven sich verkrampften. Sie war sich sofort sicher, dass sie das Wesen vor sich hatte, das Covenants Geist aus Aneles Verstand vertrieben hatte: die Macht, die Anele oben auf dem Felsgrat zu schweigen befohlen hatte.
Er sah den Haruchai ähnlich.
Esmer hätte jung oder alt sein können: Seine Züge schienen sich der Definition, der Einengung durch die Zeit zu verweigern. Mit seinem flachen Gesicht, braunen Teint und muskulösen Körperbau hatte er Ähnlichkeit mit Stave und den Haruchai. Wie sie war er nicht besonders groß; kaum größer als Linden selbst. Und sein Haar, das er ziemlich kurz trug, war leicht gelockt. Aus einiger Entfernung hätte er Staves Bruder sein können: noch unerprobt und ohne Narben.
Er trug jedoch einen goldgeränderten Umhang aus eigenartigem Material, das aussah, als sei es aus Wellenschaum gewoben: ein Gewand, das absolut nichts mit der Kleidung der Meister – oder irgendeinem anderen Kleidungsstück, das Linden bisher im Land gesehen hatte – gemein hatte. Und seine Augenfarbe erinnerte sie an das tiefe, wogende Grün gefahrvoller Meere.
Jetzt wusste sie, weshalb seine Nähe bei ihr Übelkeit erregte. Ihr Sinn für das Gesunde entdeckte in ihm eine bedenkliche Machtmelange; einen Knoten aus Konflikten und Fähigkeiten, der einem Schlangenknäuel glich. Giftig. Unheil
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