Die Runen der Erde - Covenant 07
zeugend.
Und dennoch ...
Wäre er nicht so angespannt gewesen, hätte er eigenartig verwundbar, sogar ängstlich gewirkt. Für ihn war dieser Anlass irgendwie bedrohlich. Oder er stellte eine Gefahr für sich selbst dar. Trotz ihres eigenen Unbehagens fühlte Linden sich zu ihm hingezogen, als hätte er sie um Mitleid angefleht; Mitgefühl bei ihr ausgelöst.
Und dennoch ...
Ihre Nerven waren sich seiner sicher: Sie erkannte eindeutig, dass er das machtvolle Wesen war, das zweimal eingegriffen hatte, um Aneles Einsichten, Aneles Wahnsinn zu frustrieren. Er hatte ihr Covenants Stimme geraubt ...
Aber er war eindeutig nicht das Feuerwesen, das von dem Alten Besitz ergriffen hatte. Auch dessen war sie sich sicher. Stattdessen hatte er nur Covenants Geist blockiert, Anele von Linden weg in freies Gelände getrieben. Dort hatte ein völlig anderes Wesen sich des Alten bemächtigt: eine Macht, die von Bösartigkeit und Hunger brannte, wie Esmer es nicht tat.
In gewisser Weise diente Esmer diesem anderen, heimtückischeren Feind – und schien sich dafür selbst zu verachten.
»Linden«, keuchte Liand verblüfft oder ängstlich, »er ist kein Mensch. Kein Sterblicher.«
Linden schluckte, mit einer Kehle rau wie Sandpapier. Sie wollte Stave fragen, was er sah. Seine Sinne waren schärfer als ihre. Und er besaß vielleicht Wissen, das ihr fehlte. Aber ihre Kehle war zu trocken, als dass sie hätte sprechen können.
Stave sah dem Neuankömmling stumm entgegen, ohne sich zu bewegen. Jede Linie seines Körpers zeugte von augenblicklicher Kampfbereitschaft.
»Esmer«, kündigte Hami an, als wollte sie ihn Linden und ihren Gefährten vorstellen. Aber er brachte sie mit einer Geste zum Schweigen, die so machtvoll war, dass sie in Lindens Gesichtsfeld einen weiß glühenden Strich erzeugte. Dann wandte er sich an Liand.
»Liand aus Steinhausen Mithil.« Seine Worte schienen sich in Lindens Gehörgang zu schlängeln. »Diese Sache geht dich nichts an. Du wirst dich zurückziehen.«
Liand verharrte so unbeweglich wie Stave. »Nein.« Seine Stimme zitterte. »Das tue ich nicht.«
Esmer zuckte mit den Schultern, als tue er mit dieser Bewegung Liands Existenz ab.
»Linden Avery«, sagte er als Nächstes, »Auserwählte und Sonnenkundige. Wie die Elohim gewusst und vorhergesagt haben, bist du die Weißgoldträgerin geworden. Weil du vor langer Zeit ihren Rat zurückgewiesen hast, geht jetzt viel verloren, was sonst hätte erhalten werden können. Dich geht diese Sache ebenfalls nichts an, und du wirst dich zurückziehen.«
Auch Linden gehorchte nicht. Sie konnte nicht. Stattdessen stand sie still, von Überraschung und Zorn an ihren Platz gefesselt. Er hatte Covenant zum Schweigen gebracht, hatte Anele in schreckliche Qualen gestürzt. Und ...
Und vor vielen Jahrhunderten hatten die Elohim sich verwundert gezeigt, dass sie Covenants Ring nicht bereits gebrauchte. Weil sie es nicht tat, hatten sie Covenant in eine künstliche Starre versetzt, durch die sie – unter anderem – zu erreichen gehofft hatten, Linden werde sich dazu zwingen oder überreden lassen, Covenants Ehering für sich selbst zu beanspruchen.
Woher wusste Esmer ...?
Als er ihre Weigerung sah, wurde seine Art vorübergehend sanfter. »Hören die Ramen auf mein Wort, vertrauen sie in Bezug auf dich ihren Herzen. Und tun sie es nicht ...« Er zuckte erneut mit den Schultern; diesmal sprach aus seiner Bewegung jedoch Schüchternheit, sogar Ängstlichkeit. »Dann werden sie eines Besseren belehrt.« Dann verschwand alle Sanftheit aus seinem Wesen; wie der junge Steinhausener schien Linden für ihn nicht mehr zu existieren. Von einem Augenblick zum anderen begann er vor Wut zu kochen, als er seinen dunkel smaragdgrünen Blick wieder auf den Meister richtete.
»Du«, sagte er, und seine Stimme klang so machtvoll, als könnte er die Sterne vom Nachthimmel holen, damit sie ihm zuhörten. »Dich kenne ich, was mich schwere Opfer gekostet hat. Du bist Stave, Bluthüter und Meister, Haruchai .« Mit jedem Wort wurde seine Stimme gewaltiger, bis sie einem Posaunenchor glich, der so laut war, dass sein Klang von den Berghängen widerzuhallen schien. » Deinetwegen bin ich geworden, was ich bin! Wehre dich, Herzloser, sonst vernichte ich dich!«
Und dann stürzte er sich auf Stave wie eine Woge, die über ihm zusammenzuschlagen drohte.
»Esmer!«, rief Hami sofort. »Nein! Ihnen darf nichts geschehen! Ich habe mich für ihre Sicherheit verbürgt!«
Gemeinsam mit
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