Die Runen der Erde - Covenant 07
glauben, sie seien auf der Suche nach einer Zukunft gewesen, in der sie gebraucht werden würden. Offenbar haben die ersten Zäsuren vor ungefähr hundert Jahren angefangen, das Land zu verwüsten. Sie sind verhältnismäßig neu, und nur deshalb sind wir vermutlich noch alle am Leben. Aber Esmer sagt, dass ihre Anwendungsmöglichkeiten für Foul beschränkt sind. Der Verächter hat Zugang zu einem Weißgoldring. Theoretisch besitzt er damit alles, was er an Macht benötigt. Aber er kann den Bogen der Zeit nicht einfach niederreißen – oder auch nur direkt angreifen. Der Ring gehört einer Frau, die völlig gebrochen ist. Jedenfalls so gebrochen, dass sie ihm lediglich als willenloses Werkzeug dienen kann.«
Und Covenant hatte sein Leben dafür hingegeben, den Bogen zu sichern. In gewisser Beziehung behauptete sein Geist sich noch immer gegen Lord Foul.
Nach kurzer Pause stellte Linden grimmig fest: »Ich glaube Esmer, aber wir brauchen uns nicht auf sein Wort zu verlassen. Wir wissen bereits, dass die Zeit im Wesentlichen unbeschädigt ist. Wir sind noch da. Das Land ist noch da. Ursache und Wirkung bedingen einander noch immer. Und ich bezweifle, dass selbst die Urbösen machtvoll genug wären, um Lord Foul zu entkommen. Die Zäsuren sind eine schreckliche Bedrohung, aber sie reichen nicht aus. Foul braucht mehr.«
Bislang spürte Linden bei ihren Zuhörern nur Konzentration, keinen Widerspruch. Sie alle hatten Grund, Esmers Worte ernst zu nehmen, und niemand schien eine bessere Erklärung für Aneles verwirrtes Dilemma oder die Anwesenheit der Urbösen zu haben. Aber sie hatte noch schlimmere Dinge zu sagen. Indem sie weiter ihre Stiefelspitzen anstarrte, fuhr sie fort: »Aus meiner Sicht sind die Zäsuren relativ klein. Sie mögen Jahrtausende umspannen, aber ihre Grundfläche ist nicht allzu groß. Und sie ziehen langsam. Das begrenzt das Ausmaß der Schäden, die sie anrichten können. Aber ich glaube, dass sie noch einer weiteren Beschränkung unterliegen.« Außer der durch Joans Geistesgestörtheit. »Esmer hat nicht davon gesprochen ...« Er hatte nur gewarnt, jede Veränderung der existierenden Vergangenheit beschädige das Gesetz der Zeit. »... aber ich glaube, dass die Zäsuren sich nur vorwärts bewegen. Aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Sonst könnte Foul jemanden in die Vergangenheit schicken ...« Gott, er konnte sogar Joan entsenden! »... oder sich selbst dorthin begeben. Er könnte ändern, was bereits geschehen ist. Das würde das Gesetz der Zeit stärker gefährden als die Zäsuren selbst.« Wie um sich selbst Mut zu machen, schloss sie unbeholfen: »Mit anderen Worten: Alles könnte noch viel schlimmer sein.«
Aber je mehr sie sagte, desto erschreckender erschienen ihr die eigenen Absichten. Bestimmt würden ihre Begleiter sich gegen sie auflehnen, wenn sie ihren Plan erläuterte. Sie war nicht Thomas Covenant: Ihr fehlte der persönliche Hang für Extreme, um Risiken entschieden genug zu vertreten.
»Ring-Than«, antwortete Hami, »das ist wichtiges Wissen. Es erklärt viel. Aber es enthüllt nicht, wie man solcher Gefahr begegnen kann. Ich muss nochmals fragen: Was ist deine Absicht?«
Aus Angst hätte Linden Gegenfragen stellen können: Warum muss ich diese Entscheidungen treffen? Was würdet ihr tun, wenn ich nicht da wäre? Sie hätte verlangen können: Fragt Esmer, nicht mich. Er weiß, was hier vorgeht. Ich weiß es nicht.
Aber diese Möglichkeit hatte sie nicht wirklich. Sie war Linden Avery die Auserwählte, war Ring-Than, Wildträgerin. Jeremiah war ihr Sohn. Sie konnte ihre Bürde auf niemanden abwälzen. Trotz ihrer Beklommenheit hob sie den Blick, um ihre Begleiter nacheinander zu betrachten: die Mähnenhüter, die mehr um die Ranyhyn fürchteten als um das Schicksal des Landes; Bhapa, der sich offenbar verpflichtet fühlte, ihr zum Dank für Sahahs Errettung zu dienen; Liand, der schon bewiesen hatte, dass er alles unterstützen würde, wozu sie sich entschloss; Stave, der vielleicht noch immer glaubte, sie diene dem Verderber.
Dann sagte Linden langsam und deutlich: »Wir brauchen den Stab des Gesetzes. Ich habe die Absicht, ihn zu holen.«
Liand starrte sie mit einem verwirrten Ausdruck auf seinem breiten Gesicht an. Stave zog die Augenbrauen hoch, als hätte sie es geschafft, seine Leidenschaftslosigkeit zu durchdringen. Bhapa sah stirnrunzelnd weg. Vielleicht wollte er nicht hören, was sie als Nächstes sagen würde. Dohn hatte die Hände vors Gesicht
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