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Die Runen der Erde - Covenant 07

Die Runen der Erde - Covenant 07

Titel: Die Runen der Erde - Covenant 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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herausgerissen worden waren, hatten sie sich ihre essenzielle Identität, ihr unbeugsam granitenes Selbst bewahrt.
    Zwischen ihnen jedoch bewegten sich traurig schimmernde Geschöpfe wie missgestaltete Kinder. Während die Geschöpfe sich zwischen den Steinen hindurch und über sie hinweg schlängelten, strahlten sie einen kränklichen grünen Schimmer ab: einen Lichtschein, der an Säure und Wundbrand erinnerte. Sie hätten faulige Abkömmlinge des Weltübel-Steins sein können, wäre dieses konzentrierte Übel nicht schon Jahrtausende vor Lindens eigener Ankunft im Land durch wilde Magie zerstört worden.
    Trotzdem erkannte Linden sie. Sie waren Skest, und ihre Berührung bedeutete den Tod, weil sie aus einer stark korrosiven Substanz bestanden, die Fleisch zerfraß. Einst hatten sie dem Lauerer der Sarangrave gedient und den Fangarmen des unersättlichen Ungeheuers Beute zugetrieben. Ohne Hilfe hätten Linden und Covenant auf ihrer Suche nach dem Einholzbaum die Durchquerung des Großen Sumpfes, des Lebensverschlingers, nicht überlebt.
    Jetzt schienen die Säurekinder ihr zu dienen, brachten ihr abwechselnd geschmacklose Nahrung und brackiges Wasser, boten ihrem vom Wind ausgekühlten Körper ihre bittere Wärme an und forderten klagend Mitleid, das sie ihnen nicht gewähren wollte. Ein andermal verschwanden sie außer Sicht, sickerten vielleicht zwischen die Felsen, um Nahrung für Joan zu holen oder ihr eigenes sanft strahlendes grünes Leben zu erneuern. Kehrten sie danach zurück, nahmen sie ihren eifrigen Dienst wieder auf.
    Scharfes Ameisenkribbeln; einsame Weiße und Kälte; eine Trümmerwüste aus übereinander geworfenen Steinblöcken und dazwischen Skest. Alles gleichzeitig, sich um Linden herum und in ihr überlappend, als nähme alles zur selben Zeit denselben Raum ein. Falls die Zäsur auch noch andere Formen annahm, lagen diese außerhalb von Lindens Sinneswahrnehmung.
    Gefräßige Ameisen und feurige Kälte beeinträchtigten ihre Wahrnehmungsgabe. Allmählich wurde ihr jedoch bewusst, dass sie in der Trümmerwüste zwischen den Skest jemand anders war: dass sie in einem Körper steckte, der nicht ihrer war, sich mit Augen umsah, die nicht ihrem Willen gehorchten, und Entscheidungen traf, über die sie keine Kontrolle hatte. Ihr Klagen und Jammern änderte nichts, beeinflusste nichts. Von ihrem Schmerz oder ihrer Sehnsucht drang nichts über den Geist hinaus, in dem sie gefangen war.
    Sie hätte sterben müssen, von Feuerameisen und Kälte verzehrt. Der Verlust ihrer Freunde und ihres eigenen Daseinszwecks, vor allem der Verlust Jeremiahs hätte sie zum Wahnsinn treiben müssen. Sie war an allem Ruin schuld und hatte nichts Besseres verdient.
    Aber der Wahnsinn gewährte ihr kein Entkommen.
    Stattdessen fühlte sie, wie eine Hand, die nicht ihr gehörte, sich zur Faust ballte und plötzlich emporflog. Durch die Augen ihres Gefängnisses sah sie, wie die Faust des Körpers gegen seine rechte Schläfe schlug. Nerven, die nicht ihre waren, fühlten Blut aus einer alten Wunde sickern und wie Tränen über eine gequälte Wange laufen. Unverständliche Wimmerlaute drangen aus einem Mund, in dem die meisten Zähne fehlten. Als die Kehle zwanghaft schluckte, schmeckte sie, dass das Zahnfleisch blutete.
    Im selben Augenblick schoss ein silberner Lichtblitz aus einem Ring, der an einer Kette vor einem Brustbein herabhing. Silberfeuer funkelte und glänzte auf den Steinblöcken, den losgerissenen Zeitsegmenten, bis eines von ihnen zu Chaos und Staub zerfallen war.
    Während noch immer weitere und weitere Eindrücke zugleich auf sie einströmten, begriff Linden, dass sie in Joans Geist gefangen war – dass die Frau, der die Skest dienten und die mit dem Rücken zur See diese Trümmerwüste weiter zerstörte, Covenants Exfrau war. Vom Blitzstrahl des Verächters verkohlt, hatte Joan tatsächlich den Weg ins Land gefunden, wie Linden befürchtet hatte.
    Und hier war Joan selbst von Turiya Herem aufgespürt worden.
    Aus leidvoller Erfahrung erkannte Linden die Spur des Wüterichs sofort; sie war unübersehbar. Bei ihrem Transfer in das Land hatte sie Turiya in Joans Verstand entdeckt. Joan hatte unter Visionen von Schmerz und Zerstörung gelitten, die sie noch immer nicht zu ertragen wusste. Aber hier gab es keine Visionen, denn selbst diese benötigten eine Kausalität, die in einer Zäsur nicht existierte. Stattdessen fühlte Linden nur die unersättlich lebensfeindliche Einstellung des Wüterichs.
    Von Turiya

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