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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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Menschen opferten und aus deren Eingeweiden die Zukunft lasen, so wie andere aus den Sternen. Berthold mußte achtgeben. Wenn der Ire sich verdächtig machte, würde er ihn nicht ewig decken können, und er wollte ihn nicht verlieren.
    Ihm war es nicht wichtig, zu wem ein Mensch betete. Doch manchmal fragte er sich dennoch, an wen der Ire seine Gebete richtete. Und wenn er in die Messe ging, zu wem sprach er dann? Wenn er die Beichte ablegte, wovon redete er? Welchen Namen hatte sein Gott? Oder hatte er gar keinen?
    Berthold schwitzte immer mehr und rang nach Luft. Er stürzte die Treppe herunter und rannte ins Freie. Seine Frau brauchte einen Arzt. Er hatte einen. Er hatte den besten.
    Marias Zofe, die Sächsin, stand am Fenster wie eine schwarze Krähe. Schwarzgekleidet, die dunklen Augen voller böser Blicke, als der Arzt eintrat.
    »Zieh den Vorhang zur Seite«, schnauzte er sie an und trat an das Bett, in dem Maria lag. Die Stiefmutter hielt ihre Hand. Der Arzt fühlte Puls und Stirn, zog die Augenlider hoch. »Gebt ihr Weidenrindentee und einen Aufguß aus Schafgarbe. Kennt Ihr Euch aus mit der Zubereitung von Kräutern?«
    Die Stiefmutter sagte nichts. Sie konnte Kräuter für die Küche unterscheiden, Thymian und Melisse, mehr nicht. Aber sie schwieg. Sie würde die Tränke, die der Arzt verordnete, aus dem Fenster kippen.
    »Laßt sie viel trinken«, fuhr er fort, »das schwemmt die Krankheit aus dem Leib.« Er nickte noch kurz und ging dann grußlos heraus.
    Am nächsten Tag kam er wieder. Und wieder war das Zimmer verdunkelt. Die Luft war verbraucht, aber die schwarze Krähe schien Angst vor frischer Luft zu haben. Sie stand vor dem Fenster, als wolle sie den Tag bewachen, der draußen lauerte. Er ging selbst und schlug den schweren Stoff zur Seite. Gleißendes Sonnenlicht strömte ins Zimmer. Maria hob den Kopf. Er tastete nach Verdickungen hinter ihren Ohren, und seine Hand strich ihren Hals entlang.
    »Das Fieber ist gesunken«, erklärte er und grinste. »Obwohl Eure Mutter nicht viel von meinen Heilkünsten hält. Sie schüttete mein Gebräu einem von Maesfelds Knappen auf den Kopf.«
    Er nahm ein Tuch, das über den Schemel am Bett gelegt worden war und wischte Maria über die feuchte Stirn. »Wenn es Euch beruhigt«, sagte er leise, »in ein, zwei Tagen seid Ihr mich los. Ich reite nach Köln, ich werde längere Zeit nicht hier sein.«
    Er setzte sich auf den Schemel. Sein Gesicht war ernst. Tiefe, schwarze Schatten lagen unter seinen Augen.
    »Es tut mir leid«, sagte er nur. Und Maria wußte sofort, wovon er sprach.
    »Jetzt ist es zu spät«, murmelte sie.
    »Ja, Herrin, es ist immer zu spät. Ich habe es zu oft getan, um noch darüber nachzudenken. Wenn man anfängt zu denken, dann geht es einem wie mit diesem Geist aus der Flasche. Es ist eine Geschichte aus dem Morgenland, die mir die Kreuzfahrer einmal erzählt haben. Kennt Ihr sie? Man öffnet die Flasche, und heraus steigt ein riesiger Dämon.«
    Er schwieg und faltete das Tuch in seinen Händen. »Der Dämon unserer verfluchten Seelen.«
    Maria sah ihn an. Zum ersten Mal sah sie ihm bewußt ins Gesicht. Es war schön wie ein Mädchengesicht, wären da nicht dieser harte, verschlossene Mund und die grünen Augen gewesen, Augen so kalt wie Eisschollen. »Hättet Ihr ihn umgebracht, wenn ich nicht gewesen wäre?«
    Er zögerte. Beugte sich dann vor und nahm ihre Hand. Da fielen ihr die silbernen Schlangen an seinem Armband auf. »Werdet gesund«, meinte er spöttisch, »sonst wird mein Herr mich noch entlassen.«
    Sie sah ihm nach, wie er davonging, ohne sich noch einmal umzudrehen.

THURISAZ
    Â
    »Ein drittes kann ich, drängt mich die Not,
zu hemmen Haßgegner:
stumpf mach ich den Stahl der Feinde,
nicht beißt ihr Waffen noch Wehr.«

Der Ire war am Morgen mit ein paar Soldaten auf die Jagd geritten. Dabei waren sie an einem Garten vorübergekommen, den er nur mit einem flüchtigen Blick gestreift hatte. Aber dieser Augenblick hatte gereicht, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er konnte nicht einmal sagen, weshalb, aber als er gegen Mittag eine Stunde frei hatte, ritt er wieder zu dem Garten hin. Er lag im Norden, hinter den Mauern der Festung, direkt vor einem sich lang hinstreckenden Wald.
    Hatten die Götter ihn zu diesem Garten geführt? Der lag da in der vollen Sonne und funkelte den Iren an mit seinen silbergrauen Gewächsen. Cai war vom Pferd gestiegen und stehengeblieben. Was aber zog ihn so an, daß er immer näher kam? Vielleicht

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