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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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verschwand sie hinter dem Vorhang, der vor ihrem Lager hing. Sie wollte es nicht sehen, wenn Sigrun ihre Steine ausschüttete und mit den alten Göttern sprach. Ihre Schwester aber ging, den Beutel mit den Runen zu holen und legte ihn auf den Tisch.
    »Avenaar geht ins Kloster, die arme Seele«, sagte sie leise zu dem Mann, der auf den roten Beutel starrte.
    Er sah auf. »Vielleicht ist es besser so«, murmelte er. »Und du? Gehst du auch?«
    Rosalie lachte. Sie lachte so laut, daß es der Mutter durch Mark und Bein fuhr. Was die eine zuviel hat, hat die andere zuwenig, dachte sie besorgt. Dann nahm sie den Topf vorsichtig vom Feuer und stellte ihn auf den Boden. Schöpfte mit einer Kelle das jetzt würzig riechende Wasser in einen Becher und reichte ihn dem Bauer. »Da, trink.«
    Dann setzte sie sich an den Tisch, öffnete den Beutel, und achtzehn runde Steine fielen heraus.
    In der Residenz des Herzogs von Braunschweig war der Kurier aus Raupach eingetroffen und hatte die Mitteilung vom Tod Monreals überbracht. In Braunschweig wurde der Fall schnell verhandelt. Da sich der Landesherr selbst nicht in der Stadt aufhielt, befand der oberste Gerichtsherr und erklärte Cornelius Custodis zum Vollstrecker in dieser Angelegenheit.
    Custodis war einer von Heinrichs Günstlingen, ein raffinierter Spürhund, verschlagen, gerissen und unbestechlich. Er besaß nur ein Laster: wenn er auch die Frauen nicht verachtete, gelegentlich trieb ihn die Gier nach jungen, hübschen Männern um. Dann pflegte er zuweilen das, was die Priester widernatürliche Unzucht nannten und was den Menschen auf direktem Wege in die Hölle befördert.
    Doch derweil lebte Custodis noch ganz munter auf Erden und freute sich diebisch über den Fall, den man ihm angetragen hatte. Wenn er dem Franken Raupach an den Karren fahren konnte, würde das Lob seines Herzogs nicht spärlich ausfallen, dachte er und rieb sich vergnügt die Hände. Er suchte sich einen schönen, warmen Tag aus und machte sich in aller Ruhe auf die Reise.
    Anfang Mai erschien Custodis in Raupach. Der Mann sah aus wie eine Eule, schläfrige, fast gelbe Augen, große Ohren, Haare, die ihm wie Federn vom Kopfe abstanden. Er steckte in einem unförmigen, schwarzen Mantel, der ihm bis auf die Füße hing wie ein zu großer Sack und den er nie auszog.
    Er ließ sich durch die Burg führen, und seinen scharfen Augen schien nichts zu entgehen. Er sprach mit den Soldaten, den Handwerkern, den Mägden und den Knechten. Selbst mit dem Schweinehirten. Er begutachtete Kleidung und Waffe des Weißbemantelten, ließ sich berichten, was sich wie zugetragen hatte, und setzte sich dann im Obstgarten in die Sonne. Seine Schlüsse behielt er für sich.
    Man begegnete ihm mit unverhohlenem Mißtrauen, aber Custodis war es nicht anders gewohnt. Wo man ihn hinschickte, hatten die Menschen etwas zu verbergen. Manchmal war es lediglich Raub oder Betrug, manchmal Ketzerei, selten Mord oder Totschlag. Er kümmerte sich um die Pfründe seines Herren und um seine eigenen, und in einer Welt, in der Mord an der Tagesordnung war, schickte man ihn nur los, wenn es sich um eine prekäre Angelegenheit handelte. Oder um einen sächsischen Offizier in einem fränkischen Wespennest.
    Monreal war so ein Offizier gewesen, von dem Herzog nach Raupach geschickt, damit er ein Auge auf die Franken habe. Hatte er ein Auge zuviel riskiert? Was trieben sie hier in der gottverlassenen Heide? Brachten einen Offizier um, der ihnen auf die Schliche gekommen war? Aber auf welche Schliche?
    Custodis räkelte sich in der Sonne, die ihm heiß auf den Pelz schien. Er lüftete den Mantel ein wenig. Raupach war ihm nicht unsympathisch. Er machte nicht den Eindruck eines Spitzels, er verwaltete sein Lehen mit Sachverstand, wie Custodis den Büchern hatte entnehmen können. Soweit er erkennen konnte, keine Unterschlagungen, keine Prasserei oder ähnliches.
    Der Mann in diesem weißen Mantel ging ihm nicht aus dem Kopf. Am einfachsten wäre es, er wäre der Mörder, denn dann wäre der gleich Gottes Gerechtigkeit überantwortet. Aber falls er der Täter gewesen war, wo war dann seine Waffe geblieben? Und dann die Sache mit den merkwürdigen Spuren. Hatte er Monreal umgebracht, war mit dessen Pferd verschwunden und dann ohne Pferd noch einmal wiedergekommen? Ein Täter ohne Pferd und ein Täter ohne Waffe. Nichts paßte hier zusammen.
    Er würde hier gründlich aufräumen unter den Herren in Raupach, dachte Custodis grimmig. Er mochte die

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