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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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redet, sie redet nicht, sie redet, sie redet nicht, sie … Er hatte ihren Blick gesehen unter diesem unschuldigen Apfelbaum. Den Blick einer Gorgone. Teuflisch, kriegerisch und lüstern, der Blick eines Weibes, das zu allem fähig ist.
    ›Geh hin und gib ihr, was sie will‹, flüsterte ihm der Teufel ins Ohr, ›schlaf mit ihr, tu alles mit ihr, was sie will oder was sie sich in ihrer kindlichen Phantasie vorstellt.‹
    Aber er wollte nicht auf diesen kleinen Teufel in seinem Kopf hören. Er verachtete ihn. ›Nun gut, aber was ist der Preis? Wenn sie redet, was passiert dann? Wofür, Cainnech Tuam? Du hast mit tausend Frauen geschlafen, mit Huren, mit Unfreien, mit Bürgerlichen, mit alten und mit jungen, mit hübschen und mit abgrundtief häßlichen, wenn dir danach war. Es gibt nichts, was du nicht mit ihnen getan hättest. Oder, wenn du das nicht kannst: geh hin und schlag dieser Hydra den Kopf ab. Der Tod ist dein Geschäft. Misch ein paar Kräuter zusammen und versenk sie in ihrem Weinglas – das ist ein schöner, unblutiger Tod. Und auf den Tod verstehst du dich, Soldat. Geh hin und schlag der Hydra den Kopf ab.‹
    Doch sie glich wirklich einer Hydra. Man konnte ihr den Kopf nicht abschlagen – es würden zwei andere nachwachsen, und dann hätte sich sein Problem verdoppelt. So war ihr nicht beizukommen. Aber wie?
    Der Ire zerbrach sich tagsüber den Kopf, und in der Nacht besuchte der kleine Teufel seine Träume. Sein Leben hing an einem seidenen Faden, und der Faden war schon angerissen. Er hätte seinen Dienst quittieren und in einer anderen Armee unterkommen können. Soldaten wie ihn brauchte man überall. ›Soldaten wie dich? Die vor einer Frau davonlaufen?‹ fragte der kleine Teufel grinsend.
    »Verschwinde!« schrie der Ire und wachte schweißgebadet auf. Sein Kopf schmerzte, und seine Eingeweide schienen in hellen Flammen zu stehen. Er sah sich um. Die anderen schliefen. Eine Flasche mit Branntwein war in der Nacht umgefallen, und der Rest des Schnapses war auf dem Boden zerlaufen. Es stank scharf und ätzend unter den niedrigen Balken des Stalles. Der Ire richtete sich auf. Er konnte mit niemandem reden – das war vielleicht das schlimmste. Einem männlichen Feind schlug man den Kopf ab und hängte ihn sich über die Tür, so wie es seine Vorfahren gemacht hatten. Ganze Batterien von abgeschlagenen Köpfen. Aber sie war eine Frau. Und er konnte nicht nur an sich denken. Was ging in dem verwirrten Geist dieser Frau vor sich, die spekulierte, überlegte, die kombinierte und von lüsternen Gefühlen überrannt wurde?
    Er schlüpfte wieder unter die Decke. Immer wieder dieselben Gedanken, die zu nichts führten. Er konnte nur warten, da er offenbar nicht in der Lage war, eine Entscheidung zu fällen.
    Die Entscheidung fällte dann wenig später ein anderer für ihn. Berthold sah zum Fenster hinaus auf den Wald. Er roch selbst hier oben den Geruch nach Sommer, nach reifendem Korn, Hitze und Staub. Seine Männer waren zur Jagd geritten. Hof und Weiden lagen verlassen da. Träge über den Himmel segelten weiße Wolken. Irgendwo schrie ein Falke. Und irgendwo da draußen befand sich sein Weib, und er wußte nicht, wo. Er konnte seine Furcht nicht länger beherrschen – er mußte Gewißheit haben.
    Die Saat des Zweifels hatte Gundeline gesät. »Euer Weib reitet jeden Morgen fort und kommt erst gegen Mittag wieder zurück«, hatte sie vor einer Woche gesagt.
    Berthold, der derzeit die Kammer kaum noch verließ, war Marias Fortbleiben nicht aufgefallen. Außerdem ritt sie täglich aus, das wußte hier jeder. Aber bislang war sie immer nur bis zum Saum des Waldes geritten und nie länger als eine Stunde ausgeblieben.
    Sie reite zu den Armen, hatte sie Gundeline gegenüber behauptet. Nur, hier gab es keine Armen, hier war doch ringsum nur Wald und Heide und Moor. Berthold preßte die Hände gegen den Kopf. Er brauchte Gewißheit. Aber er konnte mit seinen Schmerzen kein Pferd besteigen. Er ließ nach dem Arzt rufen. Ließ zwei Stühle ans Feuer schaffen und einen Tisch. Eine Frau stellte ihm Wasser und Haferkuchen hin.
    Die Tür öffnete sich. Der Ire trat ein. Er wirkte angeschlagen und müde. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen, sein Haar war ungekämmt und seine Stimme noch leiser als sonst. »Ihr habt mich rufen lassen, Herr?«
    »Ja, setzt Euch. Ich muß Euch um einen Gefallen bitten.«
    Der Ire zog sich den Umhang von den Schultern und ließ ihn über die Lehne der Stühle gleiten.
    »Ich rede

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