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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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kälter und kälter unter diesem fahlen Mond, und sie zog den Umhang enger. Er nickte und ließ ihre Hand los, erhob sich und sagte: »Sagt Euren Preis, Herrin. Ich besitze ein gutes Pferd und ein Schwert. Das ist alles.«
    »Nein«, rief sie hastig, »Ihr versteht mich falsch.«
    »Maria, stellt mir keine Bedingungen für Euer Schweigen. Und wenn es welche gäbe, dann nennt sie hier und jetzt.«
    Maria hatte die Kontrolle über die Situation verloren. Stück für Stück entglitt ihr alles. Sie drehte das Gesicht zur Seite. Wußte er denn nicht, wonach sie sich sehnte? Mußte sie sich ihm an den Hals werfen wie eine Dirne?
    »Wenn Ihr es nicht wißt, dann laßt uns besser schweigen«, flüsterte sie.
    Da dämmerte ihm eine Erkenntnis, die so unglaublich war, daß er sich fragte, ob sie den Verstand verloren hatte. Wollte sie seine Liebe erkaufen? Wollte sie ihn zwingen, ihren Liebhaber zu spielen? Er ahnte, daß in ihr eine Sehnsucht steckte nach etwas, das Berthold ihr nicht zu geben vermochte. Und das sie wahrscheinlich nicht einmal benennen konnte als gute Christin.
    Was erwartete Maria von diesem unaussprechlichen Etwas, das sie nicht einmal im Flüsterton über ihre reinen Lippen brachte? Der Mond wanderte über den Himmel. Man würde sie bald zu suchen beginnen. Und wenn jemand sie mit ihm zusammen fand, würde es Gerede geben. Cai Tuam wollte fort. Fort aus dieser Lage und fort von dieser Frau. Sie saß noch immer auf der Bank unter dem Apfelbaum und sah auf die weißen Spitzen ihrer kleinen Schuhe.
    »Ihr sucht einen Liebhaber«, sagte er ungläubig. »Ist es das? Ihr schweigt, wenn ich mit Euch zusammenliege? Tod und Teufel, Frau, das ist ungeheuerlich.«
    »Ja!« fauchte sie da, auf einmal aus ihrer starren Demut aufgewacht. Sie war die Herrin, sie hatte die Macht, Bedingungen zu stellen. Alle guten Vorsätze waren beiseite gefegt vom Sturm ihrer Gefühle. Sie wollte endlich leben, und wenn es nicht anders möglich war, dann auf diese Weise. Sie wollte Cai Tuam haben, und sie würde ihn bekommen. ›Bin ich verrückt?‹ fragte etwas in ihr. ›Ich kann ihn nicht zwingen. Er liebt mich nicht, er liebt diese kleine, rothaarige Hexe.‹ Aber da war noch dieses andere. Wollust sagten sie dazu, die, die es wissen mußten. Jetzt war es heraus wie ein Kind, das zu lange im Mutterleib getragen worden war.
    Wollust, eine der sieben Todsünden.
    Würde sie also zur Sünderin werden? Mit Cai Tuam würde sie alles sein, Engel und Teufel, Hexe und Fee, Nymphe und Kind. Gorgone, Amazone, Medusa und die Sphinx. Mit Cai Tuam zusammen würde sie endlich leben, endlich erfahren, was in ihrem Leib so pochte und sie quälte und sie sich vor Sehnsucht verzehren ließ. Mit Cai Tuam würde sie die Welt aus den Angeln heben und sich selbst aus dem Verlies der Anständigkeit befreien. Mit Cai Tuam zusammen … Sie sah auf.
    Er war fort. Er war einfach gegangen und hatte sie allein gelassen. »Das wirst du mir büßen«, murmelte sie mit glühendem Haß im Herzen. »Paß auf, Ire, ich finde dich, wo auch immer du bist.«
    In Maria war etwas geborsten, wie das Wasser ein Faß im Winter bersten läßt, wenn der Frost kommt und lange bleibt. Oder wie eine Flasche, in der es gärt und schwärt, bis sie platzt. Um sie herum nur Scherben. Scherben einer Ehe, Scherben eines Lebens, die sie achtlos zur Seite fegte.
    Sie bemitleidete ihren Mann, bettlägerig und krank, wie er war, aber ein anderes Gefühl hatte sie nicht mehr für ihn. Sie erkannte plötzlich, daß sie eine Gefangene war, gefangen in einer Ehe, die sie nie gewollt hatte, gefangen in einer Welt, die Frauen nur als Mütter oder Huren duldete. Sie saß hier in dieser Burg fest, und es gab kein Entrinnen. Ringsum nichts als menschenleere Heide und der Wald, in dem wilde Tiere und Wegelagerer hausten.
    Maria wollte frei sein, hingehen, wohin sie wollte. Aber wohin denn hätte sie schon gehen können, selbst wenn sie es gekonnt hätte? Abgrundtiefe Verzweiflung hatte sie gepackt und schüttelte sie Tag für Tag und Nacht für Nacht. Sündige Phantasien quälten sie, daß sie die Kammer kaum noch verließ aus Angst, die anderen könnten ihre Gedanken erraten. Das unaussprechliche Etwas hatte sich Bahn gebrochen und reizte sie, neckte sie, lockte mit knochigen Fingern. Aber der Ire war nicht da.
    Er hatte sich wieder im Lager der Soldaten einquartiert und lebte seither in einer unerträglichen Spannung. Es war wie in diesem Kinderspiel mit den abgerissenen Blütenblättern.
    Sie

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