Die russische Gräfin
von Bewunderung und Neid. Sie hat die Aura des Geheimnis und Reizvollen. Und sie hat die Freiheit, Bewunderern ihre Gunst zu schenken, oder auch nicht, solange sie diskret bleibt. Sie kann als eine der großen Geliebten in die Geschichte eingehen, derer man in Liedern und Legenden gedenkt. Sie wäre auf gewisse Weise unsterblich. Hand aufs Herz: Wer würde nicht davon träumen? Und das Wichtigste, man erinnert sich ihrer voller Respekt, ja, Ehrfurcht. Niemand lacht. Und…«, fügte sie mit einem Augenzwinkern hinzu, »… selbstverständlich hat sie ihr eigenes Vermögen.«
»Ich verstehe.« Rathbone hatte sich gegen seine Absicht mitreißen lassen. Er überlegte unwillkürlich, welche übermächtige Leidenschaft diese Frau im Prinzen entfacht haben mußte, daß er ihr die Krone und sein Land geopfert hatte. Was für ein Mensch mußte sie sein? Über welche Ausstrahlung, welchen einzigartigen Zauber gebot sie, daß jemand ihr so verfallen konnte?
Ging von ihr am Ende eine Faszination ähnlich der von Zorah Rostova aus, daß sie in Friedrich Träume und Begierden geweckt hatte, die er bis dahin bei sich nie für möglich gehalten hätte?
Hatte sie ihm Elan und den Glauben an sich selbst und seine ungeahnten Möglichkeiten eingeflößt? Wie viele schlaflose Nächte hatte ihn das Ringen zwischen Pflicht und Sehnsucht gekostet? Wie war für ihn der Vergleich zwischen der Vorstellung vom höfischen Dasein – das endlose tägliche Zeremoniell, die Aura der Distanz, die einen König zwangsläufig umgab, die Einsamkeit einer Existenz ohne die Frau, die er liebte – mit den Lockungen eines Lebens im Exil zusammen mit einer so außergewöhnlichen Geliebten. Sie würden gemeinsam alt werden, zwar getrennt von Familie und Vaterland, doch eben nie einsam. Wäre nur nicht das schlechte Gewissen. Fühlte er sich schuldig, weil er den Weg des Herzens und nicht den der Pflicht beschritten hatte?
Und die Frau. Zwischen welchen Alternativen hatte sie gestanden? Oder war es für sie einfach ein Kampf gewesen, den man gewann oder verlor? Hatte Zorah recht, und Gisela hatte verzweifelt Königin werden wollen – und verloren? Oder war sie aus Liebe zu diesem Mann bereit gewesen, in ihrer Heimat als Verräterin beschimpft zu werden, solange sie nur mit ihm zusammen sein konnte? War sie jetzt eine von einem schweren Schicksalsschlag getroffene Frau? Oder hatte sie diesen Umstand mit eigener Hand herbeigeführt, weil es sonst keine andere Möglichkeit gegeben hatte, nach einer glanzvollen Romanze der Demütigung zu entgehen, vor den Augen der Öffentlichkeit als verlassene Frau dazustehen?
»Nehmen Sie meinen Fall nun an?« fragte Zorah nach minutenlangem Schweigen.
»Vielleicht.« Er war immer noch auf der Hut, obwohl er den Kitzel der Herausforderung spürte und der Hauch der Gefahr, wie er zugeben mußte, etwas Erregendes an sich hatte. »Sie haben mich davon überzeugt, daß sie ein Motiv gehabt haben könnte, aber nicht, daß sie es getan hat.« Er gab sich Mühe, mit fester Stimme zu sprechen. Er mußte doch kühl wirken.
»Angenommen, Königin Ulrike verlangte, daß er Gisela opferte, welche Beweise haben Sie, daß Friedrich tatsächlich heimkehren wollte?«
Sie biß sich auf die Lippe. Verärgerung huschte über ihr Gesicht, dann lachte sie. »Gar keine. Aber Ende des Frühlings war Rolf Lansdorff für eine Woche im Landsitz von Lord und Lady Wellborough. Prinz Friedrich und Prinzessin Gisela waren ebenfalls eingeladen – wie übrigens auch ich. Rolf führte immer wieder Gespräche mit Friedrich. Es wäre naiv, anzunehmen, er hätte ihm diesen Vorschlag nicht unterbreitet. Wir werden nie erfahren, was Friedrich getan hätte, wäre er am Leben geblieben. Er ist tot. Genügt Ihnen das nicht?«
»Für einen Verdacht – ja.« Rathbone beugte sich weit vor.
»Aber das ist kein Beweis. Wer war noch im Haus der Wellboroughs zugegen? Was geschah dort? Geben Sie mir Details, Indizien, aber keine persönlichen Gefühle.«
Sie musterte ihn mit stetem Blick. Um ihre Mundwinkel spielte ein ironisches Lächeln. »Lord Wellborough ist Waffenhersteller und -händler. Ein Krieg, jeder Krieg, es sei denn in England, käme ihm sehr gelegen.«
Rathbone zuckte zusammen.
»Sie haben um eine realistische Darstellung gebeten«, erklärte sie. »Oder fällt das in den Bereich Gefühle? Sie selbst scheinen bestimmte Gefühle zu empfinden, Sir Oliver.« Ihre Augen funkelten spöttisch.
Rathbone war nicht bereit, ihr seine Abscheu kundzutun.
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