Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
in Europa sicher auch die Tuberkelbakterien einige Sektkorken knallen lassen. Sie profitierten ebenso von der neugewonnenen Reisefreiheit wie albanische Waffenhändler, russische Diamantenschieber oder Drogenbosse aus der Ukraine. Und wir Ärzte mußten wieder nach dem Lehrbuch der Infektionskrankheiten greifen. Die besten Chancen, die Tierchen zu finden, hat man im Magensaft oder im Lungensekret direkt aus den Bronchien.
Um das entsprechende Material zu gewinnen, mußte Mischa gleich am nächsten Morgen, quasi zum Frühstück, einen Magenschlauch schlucken, und zum Nachtisch eine Bronchoskopie über sich ergehen lassen, bei der ein nur relativ flexibler Schlauch über die Luftröhre in die Bronchien vorgeschoben wird. Beides nicht sehr angenehme Prozeduren, aber Mischa leistete beim Magenschlauch keinen und bei der Bronchoskopie nur schwachen Widerstand. Mir fehlten die Russischkenntnisse, um ihn vorher ordnungsgemäß aufzuklären, und er sprach nicht genug Deutsch, um eine etwaige Ablehnung präzise genug zu formulieren. Außerdem ist es ziemlich schwierig, mit einem Magenschlauch oder einem Bronchoskop zwischen den Zähnen Protest zu erheben.
Interessierter Zuschauer bei diesen Aktionen war Harald gewesen, mein AIPIer. A-I-P steht für »Arzt im Praktikum« und ist die Antwort der Arztausbildung auf die Finanznöte der Krankenhäuser. Ein Arzt-im-Praktikum hat sein volles Medizinstudium absolviert und keine Ahnung von der wirklichen Medizin. Also kommt der unterbeschäftigte Krankenhausdoktor zu der Ehre, sich neben seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Versorgung seiner Patienten, die Schwestern auf der Station bei Laune zu halten und der Jagd nach verschwundenen Untersuchungsergebnissen auch um die Ausbildung dieser AIPler zu kümmern. Der Trick ist, daß ein AIPler mit wenigen Einschränkungen in der Besetzungsliste des Krankenhauses als Arzt geführt wird, mit weniger als der Hälfte eines normalen Arztgehaltes. Zwei für den Preis von einem, welcher Verwaltungsdirektor welchen Krankenhauses ließe sich das entgehen!
Natürlich hätte AIPler Harald gerne selbst den Magenschlauch und das Bronchoskop in Mischa hineingeschoben. Daß er beides noch nie gemacht hatte, war kein Argument, auch ich hatte es irgendwann das erstemal gemacht, vielleicht mit einer etwas besseren Vorstellung von der Anatomie des Rachenraumes als Harald. Seine Begründung, daß Mischa aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse doch ein idealer Kandidat für seine medizinische Ausbildung sei, fand ich voll daneben, aber typisch für Harald. Ich versicherte ihm, daß sein Tag und sein Patient noch kommen würden, denn an Arschlöchern besteht, wie im richtigen Leben, auch unter Patienten kein Mangel.
»Kein direkter Nachweis säurefester Stäbchen«, meldete die Bakteriologie schon am nächsten Tag über das Computernetzwerk der Klinik direkt an den Terminal in meinem Arztzimmer, »Kultur angelegt«. Endgültig negativ hinsichtlich Tbc wäre Mischa erst, sollten auch auf den Kulturen keine Tuberkelbakterien wachsen. Dies würden wir erst in gut zwei Monaten wissen, aber wenigstens seine Isolierung konnten wir jetzt aufheben.
Um die chirurgische Betreuung seiner Verletzungen kümmerte ich mich selbst, es brauchte nicht mehr als ab und zu ein bißchen Jod und ein neuer Verband. Bei der großen, etwas infizierten Fleischwunde am Oberschenkel benutzte ich das alte Geheimrezept von meiner Mutter – Wunde nicht verschließen, ordentlich Zucker reinschütten und in Ruhe aus der Tiefe zugranulieren lassen. Das führte zu ernsthaften Auseinandersetzungen mit AIPIer Harald, der sich unter anderem auch als Experten für Wundversorgung betrachtete und auf lokaler wie systemischer Abdeckung mit Antibiotika bestand. Ich versprach ihm für den Fall, daß er bei Mischa Antibiotika zum Einsatz bringen würde, mich in der dann bei ihm fälligen Wundversorgung streng an seine Verordnungen zu halten. Er trollte sich und suchte nach einem neuen Opfer für seine medizinische Kunst.
Nach fünf Tagen hätten wir uns eigentlich von Mischa verabschieden können. Die Wunden waren weitgehend verheilt, andere Erkrankungen waren trotz Hunderter von Harald abgenommener Blutwerte nicht zutage getreten. AIPIer lieben es, Blut abzunehmen und es in vielen kleinen Röhrchen zu schier unbegrenzten Labortests zu schicken. Staunend liest der typische AIPler im Handbuch für Labordiagnostik, auf wie viele verschiedene, ihm kaum dem Namen nach bekannte Erkrankungen man
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