Die Saat - Ray, F: Saat
will er schließlich wissen.
»Nein, nicht persönlich. Aber sie wurde am selben Tag wie Professor Frost ermordet. Sie kannten sich, sie haben den Freitagabend zusammen in einem Lokal verbracht.« Jetzt muss er ihr glauben.
»Und was ist Ihr Part in der ganzen Geschichte?«
»Ich will wie Sie die Wahrheit herausfinden.« Klingt ziemlich banal – und naiv, muss sie sich eingestehen. Wieder rot. Sie bremst, kann zu ihm hinübersehen. Und er sieht ihr zum ersten Mal direkt in die Augen.
»Sie meinen, Sie wollen berühmt werden, ja?«
Sie fragt sich, ob er recht hat, ob das ihre wirkliche Motivation ist. Ihrem Vater gefallen, Christian beeindrucken, ihrer Schwester und ihrem Schwager beweisen, dass sie keine mittelmäßige Journalistin, sondern etwas Besonderes ist – genauso besonders wie sie auch. Und sie will die Wahrheit herausfinden, weil …
»Ich will die Wahrheit herausfinden, weil die Menschen ein Recht darauf haben. Das ist meine Aufgabe als Journalistin.« Ja, so ist es. Mit dieser Formulierung ist sie einverstanden, sie erfüllt sie mit etwas Erhabenem. Sie hat einen Auftrag, eine Mission zu erfüllen, im Namen der Öffentlichkeit, im Namen der Opfer, im Namen von …
»Und warum sollte ich mich darauf einlassen?«
»Weil ich über Informationen verfüge, die Ihnen nützlich sein könnten.«
»Nützlich? Wozu?«
Noch immer rot. Die Menschen auf dem Zebrastreifen haben fast die andere Straßenseite erreicht. »Ich könnte mir vorstellen, Sie sind daran interessiert, herauszufinden, wer Ihre Frau umgebracht hat.«
Bluff. Aber was hätte er wohl sonst in Tromsø gesucht?
Er wendet sich ab.
Bingo.
Die Ampel schaltet um, sie fährt weiter.
»Und warum bieten Sie Ihre Mithilfe nicht der Polizei an?«, fragt er.
»Erstens haben die mich noch nicht gefragt, und zweitens: Sagen wir mal, es reizt mich mehr, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Sie haben eine andere Motivation als die Polizei. Einepersönlichere, stärkere. Wir können zusammen den Mörder Ihrer Frau finden!« Sie spürt, wie ihre Worte den Weg in sein Inneres finden, seine Gedanken und Emotionen in Bewegung setzen, wie sie etwas in ihm anrühren. Sie kann ihn nicht ansehen, weil der Verkehr immer dichter wird, weil sich immer wieder Autos in die Lücke zwischen ihrem Wagen und dem Vordermann drängen, und doch weiß sie, dass sie gewonnen hat.
»Sie wollen also meine Geschichte für eine gute Story«, sagt er.
»Ich will die Wahrheit – und Gerechtigkeit.«
»Machen wir einen Deal«, sagt er plötzlich. »Ich will den Mörder meiner Frau und die Drahtzieher, sonst nichts. Das heißt, ich will sie vor der Polizei.«
»Ich soll …«
»Genau, Sie schreiben Ihre Story erst, wenn ich den Mörder habe.«
»Und dann?«
»Was dann?«
»Was machen Sie mit dem Mörder, wenn Sie ihn haben?«, will sie wissen, obwohl sie es ahnt.
Er sieht weg.
»Das nennt man Selbstjustiz«, sagt sie.
»Es ist mir egal, wie Sie es nennen.«
Natürlich hat sie das befürchtet – und insgeheim gehofft. Das ist allemal eine bessere Story als die der Polizei. Sie fragt sich, wo sie am Ende stehen wird. Mithilfe? Anstiftung, Komplizenschaft? Was wird man ihr alles vorwerfen können?
Ich weiß, was Sie denken, ob es irgendetwas gibt, für das es sich lohnt, zehn Jahre seines Lebens in einem Gefängnis zu verbringen. Aber das fragt man sich nicht. Es gibt Dinge, die muss man einfach tun.
Sie hofft, dass es nicht so weit kommen wird. Nein, sie weiß, dass es nicht so weit kommen wird. Sie kann rechtzeitigeingreifen, wenn sie so nah dran ist. Vor ihr tauchen die Schlagzeilen in ihrem Heft auf – und das Cover des Buchs, das sie über diesen Fall schreiben wird. Christian wird ein wenig mehr Respekt vor ihr haben, nicht nur Christian … Sie nickt ihm zu.
»Abgemacht.«
»Gut. Dann fahren Sie mich nach Hause.«
Sie will etwas einwenden, sie wollte doch in die Redaktion, aber sie sagt: »Zeigen Sie mir den Weg?«
Er hat immer Schwierigkeiten, Menschen, die er mit makelloser Frisur und Haut im Fernsehen gesehen hat, in der Welt draußen wiederzuerkennen. Doch sie ist es, zweifellos, auch wenn das blonde Haar wirr und feucht von der Luft ist und Wangen und Nasenspitze von der Kälte gerötet sind. Wenn der Polizeiwagen nicht aufgetaucht wäre – wäre er vielleicht nicht eingestiegen. Sie wird ihm nützen. So wie er ihr. Zwar ist er noch nicht sicher, ob er ihr trauen kann, aber er weiß, eine gute Story braucht einen guten Showdown. Deshalb wird sie den Deal
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