Die Saat - Ray, F: Saat
Raumduft auf dem niedrigen Sideboard, das modern und teuer aussieht.
»Wie viel verdient ein Assistent an der Uni?« Lejeune lässt ihren Blick durch das Einzimmerappartement gleiten, das in einer Einrichtungszeitschrift hätte abgebildet sein können. Dunkles Parkett, in der Mitte eine Sitzgruppe aus rotem Leder, am Rand eine minimalistische Küchenzeile mit den modernsten Geräten. Sie denkt an ihren Herd, an die gesprungene Ceranplatte und den unzuverlässigen Ofen. Das Einzige, was immer funktioniert, ist die Mikrowelle. Dabei weiß Lejeune, dass die Strahlen nicht gesund sind und die Fertiglasagne und Fertigpizza, die sie darin erhitzt, genauso wenig.
»Vielleicht hat er ja auch reiche Eltern.« David kniet neben dem Plasmabildschirm und sieht die DVDs durch. Er grinst unbeholfen. Die ersten zwei Monate hat er herumgedruckst, wollte nie, dass sie seine Wohnung sieht. Einmal war es unvermeidlich, da musste sie für ihn etwas daraus holen. Die Zweizimmerwohnung im Marais ist mindestens eine halbe Million Euro wert. Sein Vater ist Immobilienmakler. David hätte ins Geschäft einsteigen können. Doch er hat Jura studiert und ist zur Polizei gegangen. Bisher hat er Lejeune noch nicht verraten, warum. Vielleicht mag sie ihn auch deshalb nicht, weiler den bequemen Luxus, nach dem sie sich sehnt, einfach so weggeschmissen hat.
»Was ist mit dem Laptop?« Lejeune macht mit dem Kinn eine Bewegung zu dem Gerät auf dem aufgeräumten kleinen Schreibtisch aus dunklem Holz.
»Wir dürfen doch ohne …«
Lejeunes Handy meldet sich. Es ist Roland. Er will wissen, ob sie pünktlich um drei zu Hause ist. Die Kinder wollen so gern … Sie lässt ihn nicht ausreden. Verflucht, wann komme ich schon pünktlich nach Hause? Nie! Warum muss er auch noch fragen?
»Sieht nicht so aus, Roland.«
»Also nein.«
Oh, sie weiß schon, wie seine Stimmung gerade in den Keller rutscht. Warum muss er auch ausgerechnet jetzt anrufen?
»Ja, also nein«, wiederholt sie. »Roland?« Aber er hat schon aufgelegt. Der Sonntagabend ist gelaufen. Wieder mal. Davids erwartungsvoller Blick erinnert sie an seine Frage.
»Nein, wir dürfen natürlich nicht.« Sie versucht sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren, jetzt ist keine Zeit für die Familie. Nirgendwo ein Kalender, ein Adressbuch.
»Er wird alles auf seinem Computer und in seinem Handy gespeichert haben«, sagt Lejeune.
»Schwulenvideos.« David steht auf.
»Und«, herrscht sie ihn an, »haben Sie was gegen Schwule?«
»Nein, nein«, antwortet er hastig, »nein, überhaupt nicht.«
Sie nickt nur. Die Bemerkung hätte sie sich sparen können. Warum muss sie ihre Wut an ihm auslassen? Weil gerade kein anderer zur Stelle ist, ganz einfach.
»Womöglich ist er wirklich bei einem Freund«, sagt sie. »Fahren wir. Ich hasse diese Fälle am Sonntagmorgen. Nie ist einer zu Hause.«In der Spiegelung des Schaufensters vom Elektroladen kann Nicolas die beiden sehen, wie sie aus dem Haus kommen und in den Wagen steigen. Erst als er losfährt, wagt Nicolas, sich langsam umzudrehen und hinter ihm herzusehen. Waren das wirklich die Bullen? Wollten sie wirklich zu ihm? Wieder versucht er, Jean-Marie anzurufen. Endlich meldet er sich.
»Warum gehst du nicht ran? Wir wollten uns doch gestern Abend …«
Jean-Marie fällt ihm ins Wort. »Mir ist was dazwischengekommen.«
Nicolas kann es sich denken. Ein junger Typ, der samstagabends nicht in Labors rumsteht, sondern ordentlich vögelt. Warum auch nicht? Sie sind befreundet, aber sie tun beide, was ihnen Spaß macht. Nicolas muss es wegstecken. Und eigentlich hat es Nicolas das Leben gerettet, dass sein Handy nicht geklingelt hat. Er holt Luft, er muss sich immer überwinden, wenn er jemanden um etwas bitten will.
»Kannst du kommen?«, fragt er.
»Jetzt?« Jean-Maries Stimme klingt überrascht.
»Ja.« Weitere Erklärungen hebt er sich für später auf. »Oder liegt er noch bei dir im Bett?«
Ein kurzes Lachen. »Nein. Es war eine schnelle Nummer.«
»Dann kannst du ja kommen und ein paar Croissants mitbringen.«
Als er auflegt, fühlt er sich erleichtert, er wird Jean-Marie alles erzählen, wirklich alles. Dann kann er ja immer noch zur Polizei gehen. Gerade als er die Schultern strafft, fällt eine Hand schwer darauf.
»Nicolas Gombert? Wir haben Sie überall gesucht.«
Er dreht sich um und sieht sich einem jungen Mann gegenüber, demselben, der gerade mit der Frau in seinem Haus war. Auf dem Ausweis steht etwas von Commissariat.
»Wie
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