Die Saat - Ray, F: Saat
sonst?«
»Danke, Robert.«
Ist er jetzt enttäuscht? Weil er geglaubt hat, dass er endlich eine Spur hat, einen Verdacht? Er sollte erleichtert sein.
Eine Stunde später ist er zu Hause. Nachdenklich tritt er in den Aufzug, faltet die Tür hinter sich zu. Durch die ziselierte Tür sieht er jemanden die Treppe hinuntereilen. Sie kommt ihm bekannt vor. Das blonde Haar …
»Sarah?«
Er öffnet die Aufzugtür wieder. »Sarah, bist du das?«
Die Frau bleibt stehen. Es ist tatsächlich Sarah.
»Ethan? Mein Gott, jetzt hast du mich aber erschreckt!«
Sarah streicht über ihr Haar, sie hat es zum Pferdeschwanz gebunden, es ist feucht. Sie trägt einen schwarzen Mantel. Ihre Augen und ihr Mund sind geschminkt. Ein ganz anderes Erscheinungsbild als noch am Sonntag.
»Wolltest du zu mir?«, fragt er.
Sie lächelt rasch und greift in ihre Manteltasche.
»Ich dachte, ich bring ihn dir einfach.« An ihrem Zeigefinger baumelt ein Ring mit drei Schlüsseln.
»Du hast einen Schlüssel von unserer Wohnung?«
Erstaunt sieht sie ihn an. Und ihm wird bewusst, wie seine Frage klingen muss.
»Aber ja! Hast du das nicht gewusst?«
Er stöhnt. »Letzte Nacht war jemand in der Wohnung und hat mich bedroht, er muss mit einem Schlüssel reingekommen sein.«
»Ich verstehe nicht …«
Da fällt ihm ein, dass er ihr noch nicht gesagt hat, dass Sylvie möglicherweise ermordet worden ist. »Die Polizei zweifelt an der Selbstmordversion.«
Für einen Moment starrt sie ihn nur an, als würde sie sich fragen, ob sie richtig gehört hat. Dann stützt sie sich aufs Geländer und flüstert: »Soll das heißen, Sylvie wurde … wurde ermordet?«
»Ja.«
Jetzt fängt sie an zu lachen. Ein lautes, viel zu lautes Lachen. Genauso plötzlich verstummt es. Sie schlägt sich auf den Mund, flüstert: »Warum?«
Als er mit den Schultern zuckt, wird ihm seine Ohnmacht erst richtig bewusst. »Man vermutet, dass es mit dem Mord an Professor Frost, einem Pflanzengenetiker, zu tun hat.«
»Dieser grausame Mord …? Aber das ist doch absurd! Was sollte denn Sylvie …«
»Die Polizei ermittelt.«
Sie mustert ihn, dann wird ihr Blick auf einmal argwöhnisch. »Du hast eben geglaubt, ich hätte dich heute Nacht …«
»Sarah«, sagt er beschwichtigend, »das war einfach eine dumme Reaktion, ein Reflex, natürlich denke ich nicht, dass du …«
»Doch, du hast es gedacht. Für ein paar Sekunden, Ethan. Der Gedanke war in dir.«
»Mein Gott, ja, Sarah …«
»Schon gut, Ethan. Schon gut. Ich verstehe.« Ihr Blick wird mitfühlend. »Du solltest die Schlösser auswechseln lassen.«
Ja, warum hat er das eigentlich nicht längst veranlasst?
»Aber du kannst auch bei mir …«
»Danke, Sarah, ich weiß das zu schätzen, aber ich bleibe hier. Ich hab ein paar Sicherheitsvorkehrungen getroffen.« Er denkt an die Automatik in seiner Jackentasche.
Sie lässt den Schlüssel in seine Hand gleiten. »Wenn dich das nächste Mal jemand umbringen will, weißt du, dass ich es nicht sein kann.« Sie lächelt gezwungen. »Geschmackloser Witz, ich weiß, aber …« Sie schlägt die Hände vors Gesicht und schluchzt. »Ich kann es einfach nicht fassen, dass jemand Sylvie ermordet hat! Ich kann sowieso schon nicht mehr schlafen … Es ist furchtbar!«
Er nimmt sie in die Arme.
»Ach, Ethan …« Für einen Moment lässt sie sich fallen, vonihm halten, dann macht sie sich von ihm los, setzt ein tapferes Lächeln auf, tupft sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augen. »Es tut mir leid. Für dich ist ja alles noch viel schlimmer. Und da komme ich und heule dir im Treppenhaus etwas vor. Ruf mich an, wenn du mich brauchst. Moment, weißt du, wann … wann die Beerdigung ist?«
»Nein, tut mir leid, aber solange noch so viele Fragen offen sind …«
»Ja, natürlich, ich verstehe.« Sie hat es plötzlich eilig. Um ihren Mund bemerkt er ein nervöses Zucken, und ihre Hand knetet das Taschentuch so kräftig, dass die Knöchel weiß hervortreten. »Ich sollte gehen«, sie schüttelt den Kopf.
Er sieht hinter ihr her, wie sie zum Ausgang eilt, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sylvie hat ihm nie gesagt, dass sie Sarah einen Schlüssel gegeben hat. Und jetzt fällt ihm ein: Nicht nur Aamu wusste von Dr. Antonelli, von Parma, auch Sarah …
19
»Unser Schriftsteller hat sich von unserer Unterredung nicht einschüchtern lassen.« Lejeune setzt ihre Lesebrille ab, mit der sie gerade Ibrahims Observationsbericht gelesen hat. »Viitamaa. Finnischer
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