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Die Saat - Ray, F: Saat

Die Saat - Ray, F: Saat

Titel: Die Saat - Ray, F: Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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Tüten ins Schloss fällt, schlüpft er ins Treppenhaus. Mein Gott, will er jetzt auch noch in ihre Wohnung einbrechen? Hat ihn die Waffe schon so sehr verändert? Er weiß, wie so etwas geht, jedenfalls bei manchen Türschlössern, Recherche für ein Buch. Seine Arbeit ist manchmal doch tatsächlich zu etwas gut, könnte er jetzt Mathilde sagen. Er hat sie immer noch nicht angerufen.
    Langsam geht er die Treppe hoch. Dritter Stock, wie er an dem Klingelschild gesehen hat. Im Vorbeigehen stellt er fest, dass es sich bei allen Türen um einfache Schlösser handelt. Er müsste sich Werkzeug besorgen …
    Dritter Stock. Auf dem Flur gibt es sechs Türen, alle auf derselben Seite.
    An der zweiten steht Viitamaa. Ein normales Türschloss, ein Sicherheitsschloss darüber. Das kriegt er nicht auf. Aber er könnte Zouzou bitten …
    Die Aufzugtür öffnet sich, er dreht sich um und sieht direkt in Aamus überraschtes Gesicht.
    »He, wolltest du etwa zu mir?« Sie lacht. Er hätte an ihrer Stelle nicht gelacht, sondern wäre empört und argwöhnisch. Finnischer Humor? Finnische Vertrauensseligkeit? Oder gut gespielt?
    »Ja!« Er setzt ein Lachen auf. »Ich wollte gerade bei dir einbrechen und drin auf dich warten.«
    Während sie in ihrer Umhängetasche kramt, kommt sie in ihrem bunten Flickenwollmantel – wahrscheinlich in irgendeiner anderen Weltstadt der allerletzte Schrei – auf ihn zu.
    »Bitte!« Sie stößt die Tür auf. Sie ist bester Laune, keine Spur von Verärgerung oder Misstrauen. Entweder ist sie eine brillante Schauspielerin, oder sie ist tatsächlich gutgläubig.
    »Hast du keinen Moment daran gedacht, dass ich wirklich in deine Wohnung einbrechen wollte?«, fragt er mit ein wenig Belustigung in der Stimme.
    »Du?« Sie schüttelt den Kopf und lächelt. »Du doch nicht.«
    »Nein?«
    »Nein.« Sie legt ihren Kopf schief. »Oder doch?«
    »Nein, ich denke nicht.«
    Er bemüht sich, gelassen zu wirken. Und wenn er sie so wie jetzt betrachtet, wie sie gut gelaunt den Mantel über einen Haken an der Wand wirft, die Stiefel von sich schleudert, da kann er einfach nicht glauben, dass sie mit dem Mord an Dr. Antonelli zu tun haben könnte.
    Er bleibt auf der Türschwelle stehen. Das Erste, das ihm auffällt, ist der Geruch nach Wolle. Feuchter Wolle. Wie letztes Mal, als ihr Mantel nass geworden war. Er fängt an, denGeruch mit ihr zu verbinden. Plötzlich dreht sie sich zu ihm um. »Wieso hast du mich eigentlich nicht angerufen?«
    Weiß sie, dass er ihr misstraut?
    »Ich hab gedacht, ich mach’s mal wie du.«
    Sie schenkt ihm ein Lächeln. »Komm, zieh den Mantel aus. Ich mach uns einen Kaffee.«
    Ihre Wohnung ist ein Ein-Zimmer-Appartement, ähnlich wie Sarahs Wohnung. Ein schmaler Flur, von dem das Badezimmer abgeht und der ins Wohn- und Schlafzimmer mündet. Die Küchenzeile nicht zu vergessen. Studentenwohnung.
    »Wie war’s in Parma?« Sie gießt Wasser in den Elektrokocher.
    Alles ist bunt in dieser Wohnung, violette Schlafcouch, in Rottönen gemusterte Vorhänge, blauer Teppichboden. Er erinnert sich an einen Dokumentarfilm über Nomaden in Sibirien. Sie lebten in Zelten oder einfachen Hütten, die sie mit bunten Teppichen und Kissen auslegten. Der Blick vom einzigen Fenster geht in einen engen, grauen Hinterhof. Nicht in die Tundra.
    »Na?« Sie dreht sich um und mustert ihn. »Was ist los?«
    »Wo warst du gestern?«
    Ihre Augen werden schmal. Nein, sie lässt sich nicht einschüchtern. Nicht so. Sie weiß nicht, dass er eine Waffe in seiner Jackentasche hat. Er könnte ihr den Lauf an die Schläfe drücken. Würde sie dann noch genauso cool sein? Sie presst die Lippen aufeinander, nur kurz, dann lächelt sie.
    »Was meinst du damit?«
    Doch so schnell lässt er sich nicht einwickeln. Die Szene im Baptisterium. Dr. Antonelli mit dem Loch in der Stirn. Die Kugel, die ihn nur knapp verfehlt. Der nächtliche Besuch.
    »Warum siehst du mich so an?« Ihr Gesicht ist plötzlich ganz nah an seinem. Ein Duft von Pfefferminz vermischt sich mit dem nach feuchter Wolle. Ihre Gletscheraugen sind schmal wie Katzenaugen.
    »Dr. Antonelli wurde erschossen. Genau in dem Moment, in dem sie mir etwas sagen wollte.« Er behält sie im Blick, versucht jede Regung wahrzunehmen, zu begreifen, die Wahrheit herauszulesen.
    Ihr Lächeln verschwindet, plötzlich. Sie schlägt die Hände vor den Mund. »Aber das ist ja … furchtbar.« Sie spricht ganz leise. Falten bilden sich auf der glatten Stirn. Dann: »Aber ich verstehe

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