Die Saat - Ray, F: Saat
immer trägt, wenn er nicht arbeitet – und heute Abend hat er frei –, in der Wohnzimmertür, die Arme in die Hüften gestemmt. »Mein Gott, Irène, du hast sie seit zwei Tagen nicht richtig gesehen, jetzt wollen sie dir so viel erzählen!«
»Sie können mir morgen den ganzen Tag lang alles erzählen, aber ich muss jetzt diese Sendung sehen!« Sie ärgert sich, dass sie darum kämpfen muss, ihre Arbeit zu machen. Dabei täte sie auch lieber etwas anderes. Was genau, weiß sie nicht, vielleicht einfach mal gar nichts.
»Wir haben Vertreter beider Seiten eingeladen, um zu diskutieren, worum es in dieser Debatte eigentlich geht«, sagt die Moderatorin.
»Morgen, morgen! Für Kinder gibt es so was nicht …« Roland fährt sich über sein kurz rasiertes Haar, eine Geste, die er sich offenbar von den anderen Kurzgeschorenen abgeschaut hat. Ihre Wut auf ihn wächst. Warum hat er sich nicht längst einen anderen Job gesucht, einen, bei dem er mehr Geld verdienen würde. Einen, der ihnen wieder ein anderes Leben ermöglichen würde. Er hat einfach resigniert.
»Halt die Klappe, Roland!«, brüllt Lejeune unbeherrscht und tippt unablässig auf den Lautstärkeregler, bis der Fernseher dröhnt. »Haltet endlich alle mal die Klappe!«
»Ich darf Michel Grand von Nature’s Troops begrüßen …«
Einen Moment fürchtet Lejeune, dass Roland mit seinen Bärenkräften den Fernseher nimmt und aus dem Fenster wirft. Er ist ein ruhiger, bedächtiger Mensch mit viel Verständnis, doch irgendwann ist es auch ihm zu viel. Aber er steht nur steif da, dreht sich schließlich um und knallt die Tür hinter sich zu.
Sie hat es so satt! Wann kümmert sich endlich mal jemand um ihre Bedürfnisse?
Michel Grand von Nature’s Troops hat mit seinem ausgemergelten Gesicht, dem kahl geschorenen Kopf und den langen Gliedmaßen etwas Asketisches und Kompromissloses. Ja, man könnte ihm durchaus einen ideologisch verbrämten Mord zutrauen, denkt Lejeune und nimmt einen kräftigen Schluck Rotwein, der sie sofort entspannt.
Von Edenvalley haben sie die Vizedirektorin eingeladen,Dr. Océane Rousseau, eine kühle, um nicht zu sagen eiskalte Frau, die gelassen lächelt. Lejeune gießt sich Rotwein nach.
Neben ihr sitzt ein Mittvierziger mit rosigem Gesicht, der gutes Essen und Trinken offensichtlich zu schätzen weiß, ein gewisser Clément Becker von den Grünen. Ihm gegenüber Dr. Serge Preston, Pflanzengenetiker am Institut für Kulturpflanzen in Lyon. Der gedrungene dunkelhaarige Mann um die fünfzig mit der schwarzen Hornbrille ist der Einzige, der nicht lächelnd in die Kamera nickt. Lejeune wundert sich, dass man nur eine Frau eingeladen hat. Vielleicht zählt man ja die Moderatorin mit und fürchtet ein Übergewicht von Frauen. Der Rotwein schmeckt besser als erwartet.
»Der erste gentechnisch veränderte Organismus«, leitet die Moderatorin ein, »abgekürzt GVO, der 1996 in Europa zugelassen wurde, war das sogenannte Roundup Ready Soja von Monsanto. 1997 folgte der erste gentechnisch veränderte Mais, kurz darauf brachte Edenvalley ähnliche Produkte und Herbizide auf den Markt. Diese gentechnisch veränderten Kulturpflanzen sind in Europa zugelassen. Sie sind immun gegen Unkrautvernichtungsmittel und bestimmte Insekten und Pflanzenkrankheiten. Dr. Rousseau, man wirft Edenvalley vor, die Kontrolle über die Nahrungsmittelproduktion übernehmen zu wollen.«
Die Angesprochene lächelt professionell. Lejeune kennt solche Leute. Sie fühlen sich allen überlegen. »Das ist eine infame Unterstellung. Jedes Unternehmen strebt danach, Arbeitsplätze zu erhalten und Gewinne für die Aktionäre – oder die Eigentümer – zu erzielen. Aber jedes Unternehmen weiß auch, dass ausschließlich die Verbraucher bestimmen, was sie kaufen. Und wenn die Unternehmenspolitik einer Firma auf breiten Widerstand in der Öffentlichkeit trifft, dann ist diese Firma recht schnell aus dem Rennen. Es ist doch vielmehr so: Wir von Edenvalley verhelfen den Bauern zu einembesseren Leben. Nicht nur, weil wir verbessertes, widerstandsfähigeres Saatgut auf den Markt bringen, sondern auch, weil wir vielfältige Bildungsprojekte unterstützen. Gehen Sie nach Argentinien, nach Paraguay, nach Uganda, in den Sudan … Ich habe die vollständige Liste nicht vorliegen, aber überall auf der Welt investieren wir in Schulen. Wir geben Schulbücher heraus …«
»Auf denen groß der Name Edenvalley steht und in denen die Gentechnologie in den rosigsten Farben beschrieben
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