Die Saat
Wartezeit von zwei bis drei Wochen hatte sich locker verdoppelt, denn Vasiliy arbeitete immer noch den Rückstand des letzten Monats ab, und diesem Kunden hier hatte er fest versprochen, heute vorbeizukommen.
Er hielt hinter einem silbernen Mercury Sable und holte seine Ausrüstung aus dem Laderaum des Lieferwagens: die lange Stange aus gedrehtem Betonstahl und den großen Zauberkasten voller Fallen und Gifte. Das Erste, was er bemerkte, war das Wasser, das den Durchgang zwischen den beiden Reihenhäusern entlanglief; ein klares, langsames Rinnsal, wie aus einer kaputten Leitung. Für die Nager nicht so appetitlich wie cremiges, braunes Abwasser, aber mehr als ausreichend, um eine ganze Rattenkolonie zu versorgen.
Ein Kellerfenster war zerbrochen und mit Lappen und alten Handtüchern zugestopft - entweder eine schlecht ausgeführte Eigenreparatur oder das Werk sogenannter »Mitternachtsklempner«, Kupferdiebe, die Leitungen herausrissen, um sie an Schrotthändler zu verkaufen.
Die Häuser gehörten inzwischen der Bank. Den ursprünglichen Besitzern war in der Hypothekenkrise die Finanzierung zusammengebrochen, und sie hatten sie durch Zwangsvollstreckung verloren. Vasiliy war hier mit dem Vertreter der Hausverwaltung verabredet. Die Tür war unverschlossen. Er klopfte und trat ein.
»Hallo«, rief er, steckte den Kopf in den ersten Raum vor der Treppe und untersuchte die Sockelleisten auf Urin und Kot. Eine defekte, halb heruntergelassene Jalousie hing vor einem der Fenster und warf einen schrägen Schatten auf den eingedellten Holzfußboden. Von dem Hausverwalter war weit und breit nichts zu sehen.
Vasiliy war in Eile und noch dazu nicht besonders gut gelaunt. Zusätzlich zu seinem Arbeitsrückstand hatte er vergangene Nacht verdammt schlecht geschlafen. Außerdem wollte er zurück zur Baustelle am World Trade Center, um dort mit einem der Verantwortlichen zu sprechen.
Auf einer der unteren Treppenstufen fand er ein metallenes Klemmbrett. Der Firmenname auf den angeklemmten Visitenkarten passte zu dem auf Vasiliys Auftragsbeleg. »Hallo!«, rief er wieder, dann gab er es auf und beschloss, einfach alleine anzufangen.
Der Keller war dunkel dank des zugestopften Fensters, das ihm bereits von außen aufgefallen war, und der Strom war ohnehin schon lange abgestellt worden. Vasiliy bezweifelte, dass überhaupt noch eine Glühbirne in der Fassung steckte. Er klemmte seinen Handwagen in die Tür, damit sie nicht zufiel, und ging mit der Stahlstange in der Hand nach unten.
Die Kellertreppe knickte scharf nach links ab. Zuerst sah Vasiliy ein Paar Schuhe, dann Beine in einer Khakihose: Der Hausverwalter saß gegen die Steinwand gelehnt, in sich zusammengesunken wie ein Cracksüchtiger. Sein Kopf war zur Seite gekippt, die geöffneten Augen starrten wie benommen ins Nichts.
Vasiliy machte nicht den Fehler, gleich zu dem Mann hinunterzulaufen, dafür war er schon in zu vielen verlassenen Häusern in den übelsten Stadtteilen gewesen. Er wartete, bis sich seine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnten, und sah sich dann um. Abgesehen von zwei Stücken Kupferrohr, die auf dem Boden lagen, schien das hier ein ganz gewöhnlicher Keller zu sein.
Er erkannte den Sockel des Schornsteins, der mit einem Heizkessel verbunden war. Und vier dreckige Finger, die sich in den Mörtel des Sockels krallten ...
Jemand lauerte dort. Versteckte sich. Wartete auf ihn.
Er wollte gerade die Treppe wieder hinaufgehen, um die Polizei zu verständigen, als das Licht von oben verschwand. Jemand hatte die Kellertür geschlossen. Jemand, der jetzt oben auf den Stufen stand.
Vasiliys erster Impuls war Flucht, doch dann raste er getreu dem Motto »Angriff ist die beste Verteidigung« die Stufen hinunter und direkt auf den Schornstein zu, wo der Besitzer der schmutzigen Hand kauerte. Mit einem furchterregenden Schrei ließ er die Stahlstange heruntersausen und zerschmetterte die Finger.
Es war ein Mädchen, noch keine zwanzig, gerade mal ein Teenie. Sie war vollkommen verdreckt. Blut klebte auf ihrer Brust und um den Mund. Das alles konnte Vasiliy im Halbdunkel eben noch erkennen, bevor sie hochschnellte, sich mit einer unheimlichen Geschwindigkeit auf ihn warf und ihn mit noch unheimlicherer Kraft brutal gegen die Wand schleuderte, obwohl sie nur halb so groß war wie er. Sie gab ein atemloses, wütendes Geräusch von sich, und als sie den Mund öffnete, glitschte eine abnorm lange Zunge heraus. Panisch riss Vasiliy den schweren Stiefel
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