Die Saat
durch die Wälder streifte, wie ein Gott der Nacht. Sie waren es, die uns warnten: >Iss und werde stark, sonst kommt Sardu dich holen.< Deswegen ist es wichtig, Abraham.
Eß gesunterhejt!
Iss und sei stark. Kratz jetzt die Schüssel da aus. Sonst kommt er.« Seine Großmutter war zurückgekehrt aus diesen Momenten der Dunkelheit, der Erinnerung. Nun funkelten ihre Augen wieder vor Lebensfreude. »Sardu wird kommen.
Pick-pick-pick.«
Und Abraham aß auf, noch den kleinsten Rest der Roten Bete. Die Schale war leer, die Geschichte zu Ende, sein Bauch und sein Kopf aber waren voll. Dass er so brav aufgegessen hatte, freute seine
bubbe,
auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck von tiefer Liebe zu ihm. In jenen vertraulichen gemeinsamen Momenten am wackeligen Esstisch der Familie waren sie, zwei Generationen voneinander entfernt, vereint und teilten sich Nahrung für Herz und Seele.
Ein Jahrzehnt später wurde die Familie Setrakian aus ihrer Tischlerei und ihrem Dorf vertrieben. Allerdings nicht von Sardu. Sondern von den Deutschen. In ihrem Haus wurde ein Offizier einquartiert. Dieser Mann, milde gestimmt durch die vorbehaltlose Güte seiner Gastgeber, die mit ihm genau an jenem wackeligen Tisch ihr Brot teilten, warnte sie eines Abends eindringlich, am nächsten Tag keinesfalls den Anweisungen Folge zu leisten und sich am Bahnhof einzufinden, sondern noch in dieser Nacht Haus und Dorf zu verlassen.
Was sie dann auch taten - die gesamte achtköpfige Familie floh mit allem, was sie gerade eben noch zu tragen vermochte. Die alte
bubbe
jedoch verlangsamte die Flucht. Schlimmer noch - sie
wusste,
dass sie die Gruppe aufhielt, sie
wusste,
dass durch sie die ganze Familie in Gefahr geriet, und sie verfluchte sich und ihre alten, müden Beine. Die übrige Familie ging schließlich irgendwann voraus - alle bis auf Abraham. Er war inzwischen ein kräftiger, vielversprechender junger Mann, trotz seiner Jugend bereits ein meisterlicher Holzschnitzer sowie ein aufmerksamer Talmud-Schüler mit einem besonderen Interesse am Sohar, den Geheimnissen der jüdischen Mystik. Abraham wich seiner Großmutter nicht von der Seite und blieb mit ihr zurück. Doch als sie erfuhren, dass die anderen in der nächsten Stadt verhaftet worden waren und einen Zug Richtung Polen hatten besteigen müssen, bestand seine von Schuldgefühlen geplagte
bubbe
darauf, dass sie sich um seinetwillen stellte.
»Lauf, Abraham. Flieh vor den Nazis. So wie vor Sardu.
Rette dich!«
Aber davon wollte er nichts wissen. Er wollte nicht von ihr getrennt werden.
Am nächsten Morgen fand er sie auf dem Fußboden des gemeinsamen Zimmers im Haus eines mitfühlenden Bauern. Sie war in der Nacht aus dem Bett gefallen, mit kohlrabenschwarzen, sich häutenden Lippen, die Kehle dunkel angelaufen bis zum Hals, jämmerlich zugrunde gegangen an dem Rattengift, das sie genommen hatte. Mit der großzügigen Erlaubnis seiner Gastgeber beerdigte Abraham Setrakian sie unter einer blühenden Sandbirke. Geduldig schnitzte er ihr ein wundervolles hölzernes Grabmal, verziert mit Blumen und Vögeln und allem, was sie am glücklichsten gemacht hatte. Und er weinte, weinte um sie - und dann rannte er.
Er rannte um sein Leben, flüchtete vor den Nazis und hörte dabei die ganze Zeit ein
Pick-pick-pick
hinter seinem Rücken ...
Das Böse war ihm dicht auf den Fersen.
Der Beginn
N323RG Cockpit Black Box
NTSB-Abschrift, Flug 753 von Berlin (TXL) nach New York (JFK), 24/09/1O:
2049:31 [Passagierraum-Mikro AN]
CAPT. PETER J. MOLDES: »Hier spricht Kapitän Moldes aus dem Cockpit. Wir werden in wenigen Minuten und somit planmäßig landen. Wollte mich nur kurz melden und Sie wissen lassen, wie sehr wir uns freuen, dass Sie Regis Airlines gewählt haben. Ich hoffe, auch im Namen unseres Ersten Offiziers Ronald Nash und der gesamten Crew, Sie schon bald wieder bei uns an Bord begrüßen zu dürfen ... «
2049:44 [Passagierraum-Mikro AUS]
CAPT. PETER J. MOLDES: » ... damit wir alle unsere Jobs behalten.« [Gelächter im Cockpit
2050:01 Flugsicherung New York (JFK): »Regis 7- 5-3, Anflug links, Kurs 1-0-0. Klar zur Landung auf 13R.«
CAPT. PETER J. MOLDES: »Regis 7-5-3, Anflug links, 1-0-0, Landung auf Runway 13R, alles klar.«
2050:15 [Passagierraum-Mikro AN]
CAPT. PETER J. MOLDES: »Flugbegleiter, bereit zur Landung.«
2050:18 [Passagierraum-Mikro AUS]
ERSTER OFFIZIER RONALD W. NASH: »Fahrwerk ausgefahren.«
CAPT. PETER J. MOLDES: »Ist doch immer
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