Die Saat
hatte ihn mit allem vertraut gemacht und verhindert, dass er genauer untersucht wurde. Seine Krankheit allein war schon Grund genug für die sofortige Hinrichtung doch Setrakian hatte ihn als Mitarbeiter angefordert, um ihn in kritischen Augenblicken von den 55-Aufsehern und den ukrainischen Wachmannschaften fernzuhalten. Trotzdem ging es mit ihm zu Ende; seine Lungen machten nicht mehr mit, und, was noch schlimmer war, er hatte seinen Lebenswillen verloren, zog sich immer mehr zurück, sprach nur selten, weinte still vor sich hin. So wurde er zur Bedrohung für Abrahams eigenes Überleben, doch all sein Flehen half nichts - immer öfter hörte er, wie der alte Mann von lautlosen Hustenanfällen geschüttelt wurde und bis zum Tagesanbruch leise vor sich hin weinte.
Das Wesen ragte jetzt hoch über Zajak auf und betrachtete ihn. Der unregelmäßige Atem des Alten schien ihm zu gefallen. Wie ein Todesengel breitete es seine Dunkelheit über den gebrechlichen Körper.
Gleich darauf gab es ein gieriges, trockenes Schnalzen von sich, und was es dann tat ... weigerte sich Abraham zu sehen. Und seine Ohren weigerten sich, die Geräusche zu hören. Das riesige Wesen beugte sich über Kopf und Hals des alten Mannes. Zajaks Körper zuckte kaum merklich, doch wundersamerweise wachte er nicht auf.
Und würde es auch nie wieder tun.
Mit der Hand erstickte Abraham ein Stöhnen. Das Wesen schenkte ihm keine Beachtung. Es blieb bei den Kranken und Schwachen. Die Nacht verstrich, und das Wesen wirkte zunehmend erfrischt, seine Haut geschmeidiger, aber immer noch genauso dunkel. Und dann, endlich, verschwand es.
Vorsichtig stand Abraham auf und betrachtete die Leichen im schwachen Licht der Dämmerung. Es waren drei. Er konnte keinerlei Verletzungen erkennen - bis auf einen schmalen Schlitz am Hals, eine dünne, fast unmerkliche Wunde. Hätte er das Grauen nicht mit eigenen Augen gesehen ...
Und dann wurde ihm etwas klar: Das Wesen würde zurückkehren, und zwar schon bald. Dieses Lager war ein ergiebiger Futterplatz, es konnte sich an den Vergessenen, den Aussortierten, den Hoffnungslosen gütlich tun, sich an ihnen satt fressen.
Und noch etwas wurde ihm klar: Irgendjemand musste es aufhalten.
Nein, nicht irgendjemand. Er.
Bewegung
Touristenklasse
Ansel Barbour, einer der Überlebenden von Flug 753, kuschelte mit seiner Frau Ann-Marie und seinen zwei Kindern, dem achtjährigen Benjy und der fünf jährigen Haily, auf dem blauen Chintzsofa im Wintergarten ihres Einfamilienhauses in Flatbush, New York. Auch Pap und Gertie, die bei den großen Bernhardiner, mussten aus diesem besonderen Anlass nicht wie gewöhnlich nach draußen. Sie freuten sich, dass er wieder zu Hause war, hatten ihm die Pfoten auf die Knie gelegt und stupsten dankbar seine Brust.
Ansel hatte auf Platz 39G gesessen, am Gang - Touristenklasse. Er war von einer Tagung über Datenbanksicherheit in Potsdam zurückgekommen. Ansel war Informatiker und hatte unlängst einen Projektvertrag über vier Monate mit einem großen Handelsunternehmen in New Jersey abgeschlossen, dem Hacker die Kreditkartennummern von mehreren Millionen Kunden gestohlen hatten. Er war noch nie zuvor im Ausland gewesen und hatte in Deutschland seine Familie ziemlich vermisst. Die viertägige Konferenz hatte zwar auch jede Menge Freizeit und Stadtrundfahrten umfasst, doch Ansel hatte das Hotel nicht verlassen, war auf dem Zimmer geblieben, hatte per Webcam mit den Kindern gesprochen und mit Fremden im Internet Poker gespielt.
Seine Frau Ann-Marie war ein abergläubischer, in sich gekehrter Mensch, und das tragische Ende von Flug 753 bekräftigte nur ihre tief sitzende Angst vor Flugreisen und generell neuen Erfahrungen. Sie weigerte sich, Auto zu fahren, und etliche Zwangsneurosen hatten sie fest im Griff; unter anderem musste sie immer wieder jeden Spiegel im Haus berühren und gleich danach putzen, was Unglück abwehren sollte. Ihre Eltern waren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, als sie vier Jahre alt war - sie selbst hatte den Zusammenstoß wie durch ein Wunder überlebt -, und sie war bei einer unverheirateten Tante aufgewachsen, die eine Woche vor ihrer Hochzeit mit Ansel gestorben war. Die Geburt ihrer Kinder hatte Ann-Maries Ängste nur noch verstärkt: Es kam vor, dass sie tagelang das Haus nicht verließ und so, was die Kommunikation mit der Außenwelt betraf, vollkommen auf Ansel angewiesen war.
Was mit Flug 753 geschehen war, hatte ihr buchstäblich den
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