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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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geschwungenen Nadel, in die ein gewachster Zwirn gefädelt war, sowie Füllmaterial für den entleerten Schädel bereit.
    Eine Brustbeinschere mit langem Griff wurde von Tisch zu Tisch gereicht, wo sich jeweils ein Assistent, auf einem Metallschemel stehend, über einen aufgeschnittenen Oberkörper beugte und eine Rippe nach der anderen durchtrennte, um schließlich den kompletten Brustkorb samt Brustbein in einem Stück entfernen zu können. Der Geruch ließ an einen Eintopf aus Parmesan, Methan und faulen Eiern denken.
    »Nach Ihrem Anruf habe ich die Hälse genauer unter die Lupe genommen«, sagte Bennett. »Bislang weisen alle Körper diese Risswunde auf, von der Sie sprachen. Aber keinerlei Narbengewebe. Es sind offene Wunden, so präzise und sauber, wie ich sie selten zu Gesicht bekommen habe.« Er führte Eph und Nora zu einer noch nicht geöffneten weiblichen Leiche. Ein Stahlblock, der in ihren Nacken geschoben war, ließ den Kopf nach hinten wegklappen, wölbte ihre Brust und streckte ihren Hals.
    Eph tastete die Haut am Hals der Frau ab, fand die feine Linie und zog die Wunde behutsam auseinander. Reinheit und Tiefe des Schnitts waren verblüffend. Als er die Hand wieder wegzog, schloss sich die Verletzung wie ein schläfriges Augenlid. »Was könnte das verursacht haben?«, fragte er Bennett.
    »Eine natürliche Ursache gibt es dafür jedenfalls nicht«, erwiderte der Pathologe mürrisch. »Zumindest keine, die mir bekannt wäre. Beachten Sie die Präzision des Schnitts, wie von einem Skalpell. Und dennoch sind die Kanten abgerundet. Sie wirken beinahe organisch.«
    » Wie tief?«
    »Ein sauberer Schnitt direkt in die Halsschlagader. Aber er setzt sich auf der anderen Seite nicht fort, die Arterie wurde nicht komplett durchtrennt.«
    »Ist das bei allen so?«, fragte Nora.
    »Bei jedem, den ich mir bislang angesehen habe. Aber wenn Sie mich nicht darauf aufmerksam gemacht hätten, dann wäre mir diese Schnittwunde wohl gar nicht aufgefallen. Vor allem in Anbetracht der übrigen Besonderheiten, die die Leichen aufweisen.«
    »Was denn noch?«
    »Dazu kommen wir gleich. Die Schnittwunde jedenfalls befindet sich entweder vorn oder seitlich am Hals. Eine Frau allerdings hatte ihre auf der Brust, über dem Herzen. Und einen Mann mussten wir gründlich unter die Lupe nehmen, bis wir die Wunde auf der Innenseite des Oberschenkels fanden, exakt über der Oberschenkelschlagader. Jede dieser Verletzungen hat Haut und Muskeln perforiert und endet in einer Arterie.«
    »Eine Nadel?«, spekulierte Eph.
    »Nein, viel dünner. Ich muss mir das noch genauer ansehen. Aber es ist ohnehin nur ein kleines Detail. Kommen Sie mal mit.« Bennett öffnete die Tür zu einem Kühlraum, der breiter war als eine Doppelgarage. Etwa fünfzig Bahren standen darin. Die Reißverschlüsse der Leichensäcke, die darauf lagen, waren zumeist bis zur Brust aufgezogen, bei einigen sogar vollständig geöffnet. Die Leichen waren gewogen, abgemessen und fotografiert worden und nun bereit für den Seziertisch. Es waren auch einige Verstorbene hier, die nichts mit Flug 753 zu tun hatten; sie lagen unbedeckt auf ihren Bahren und trugen die üblichen gelben Anhänger an den Zehen.
    Kälte verlangsamt die Verwesung, so wie sie verhindert, dass Früchte, Gemüse und Wurst verderben. Den Leichen aus dem Flugzeug jedoch war
überhaupt nichts
anzumerken; obwohl die Passagiere seit über sechsunddreißig Stunden tot waren, sahen sie praktisch noch genauso aus wie in dem Moment, als Eph und Nora die Maschine betreten hatten. Ganz im Gegensatz zu jenen mit den gelben Anhängern an den Zehen, die unappetitlich aufgebläht waren, aus jeder Körperöffnung schwärzliche Säfte ausschieden, deren Fleisch dunkelgrün gefärbt war und eine lederartige Konsistenz angenommen hatte.
    »Das sind mal wirklich ein paar ziemlich gut aussehende Tote«, sagte Bennett.
    Eph lief ein Frösteln über den Rücken, was nichts mit den Temperaturen im Kühlraum zu tun hatte. Langsam gingen er und Nora die Bahren entlang. Die leblosen Körper sahen zwar nicht gerade gesund aus - sie waren eingefallen und aufgrund der Blutarmut unnatürlich blass -, trotzdem machten sie den Eindruck, als wären sie eben erst gestorben, vor vielleicht einer halben Stunde.
    Dann folgten sie Bennett zurück in den Obduktionssaal zu der weiblichen Leiche von vorher. Die Frau war etwa Anfang vierzig und bis auf eine alte Kaiserschnittnarbe ohne besondere Merkmale. Sie wurde gerade für die Öffnung

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