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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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besserginge.
    Er hob sie aus der Wanne, trocknete sie ab, zog ihr den Pyjama über. Dann nahm er einen großen Kamm aus dem Korb an der Wand und kämmte ihr das lange, blonde Haar. Der Kamm blieb einige Male hängen, doch Emma gab keinen Mucks von sich.
    Ich habe Wahnvorstellungen. Ich bilde mir nur ein, dass sie hier ist,
schoss es ihm durch den Kopf.
Ich habe jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren.
    Und dann, während er weiter ihr Haar kämmte, dachte er:
Und es ist mir scheißegal!
    Er schlug die gesteppte Daunendecke zurück und legte seine Tochter ins Bett, so wie er es gemacht hatte, als sie noch ganz klein gewesen war. Er deckte sie bis zum Hals zu. Sie lag reglos, wie schlafend da, doch ihre schwarzen Augen waren weit aufgerissen.
    Gary zögerte, bevor er sich vorbeugte und ihre immer noch heiße Stirn küsste. Sie war kaum mehr als ein Schatten seiner Tochter. Ein Geist. Dessen Anwesenheit er willkommen hieß. Den er lieben würde.
    Seine Tränen liefen über ihre Stirn. »Schlaf gut«, flüsterte er. Keine Reaktion. Emma lag im blassrosa Schein des Nachtlichts und starrte an die Decke. Ohne die Augen zu schließen. Ohne auf den Schlaf zu warten. Sie wartete ... auf etwas anderes.
    Gary ging den Flur hinunter in sein Schlafzimmer, zog sich aus und legte sich ebenfalls ins Bett. Auch er fand keinen Schlaf. Auch er wartete, obwohl er nicht wusste, worauf.
    Bis er es hörte.
    Ein leises Knarren. Er drehte den Kopf und sah Emmas Silhouette im Türrahmen. Sie kam auf ihn zu, eine kleine Gestalt in der Dunkelheit. Blieb neben dem Bett stehen und öffnete den Mund wie zu einem weiten Gähnen.
    Seine Tochter war zu ihm zurückgekehrt. Nur das zählte.
     
    Zack konnte nicht einschlafen. Es stimmte schon, was alle sagten: Er kam ganz nach seinem Vater. Zwar war er noch viel zu jung für ein Magengeschwür, doch bereits jetzt schien es so, als trüge er die ganze Last der Welt auf seinen Schultern. Er war ein
sensibler
Junge, ein
ernsthafter
Junge, und das hatte seinen Preis.
    Er sei schon immer so gewesen, hatte sein Vater ihm erzählt. Schon als kleiner Knirps habe er mit zutiefst besorgter Miene aus dem Bettchen gestarrt, hätten seine intensiven dunklen Augen stets den Blickkontakt gesucht. Sein ernstes Gesicht hatte Eph zum Lachen gebracht - so sehr erinnerte ihn dieses beunruhigte Baby in seiner Wiege an ihn selbst.
    In den letzten beiden Jahren hatten Zack die Trennung seiner Eltern und der Kampf um das Sorgerecht schwer belastet. Er hatte eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass das alles nicht seine Schuld war. Und so ganz verstand er es immer noch nicht: Wenn er nur tief genug grub, kam er zu der Erkenntnis, dass die Wut seiner Eltern sehr wohl mit ihm zusammenhing. Die Jahre des Getuschels hinter seinem Rücken, die nächtlichen Streitereien - all das hatte dazu geführt, dass Zack im Alter von elf Jahren bereits an Schlaflosigkeit litt.
    In manchen Nächten versuchte er die düsteren Gedanken mit seinem iPod zu verscheuchen und starrte dabei aus dem Fenster, in anderen öffnete er dieses Fenster einen Spalt breit und lauschte auf jedes noch so winzige Geräusch, das die Nacht zu bieten hatte, lauschte so konzentriert, bis ihm die Ohren summten.
    Wie viele Jungs in seinem Alter hatte er die Hoffnung, die Straße werde nachts, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, ihre Geheimnisse preisgeben. Gespenster, Mord, Sex. Doch alles, was er sah, bevor die Sonne aufging, war das hypnotische blaue Flackern des Fernsehers im Haus gegenüber. Es gab auf dieser Welt eben weder Helden noch Ungeheuer, auch wenn Zack nach beidem suchte.
    Der Schlafmangel forderte schließlich seinen Tribut, und der Junge döste tagsüber immer wieder ein, vor allem in der Schule. Da Kinder ja fast nie über eine Schwäche hinwegsahen, wurden neue Spitznamen für ihn erfunden. Sie reichten von »Pennbruder« bis zu »Necroboy«, wobei natürlich jede Clique ihren Lieblingsausdruck hatte.
    Tapfer überstand Zack alle Demütigungen und wartete geduldig auf den nächsten Besuch seines Dads.
    Bei ihm fühlte er sich wohl. Selbst wenn sie schwiegen, ja
besonders
wenn sie schwiegen. Seine Mom war zu perfekt, zu aufmerksam, zu nett - ihren unausgesprochenen Vorgaben, die alle nur »zu seinem Besten« waren, konnte er unmöglich gerecht werden. Er spürte instinktiv, dass er für sie vom Augenblick seiner Geburt an eine einzige Enttäuschung gewesen war. Weil er ein Junge war; weil er seinem Dad zu sehr ähnelte.
    Bei Eph fühlte er sich lebendig.

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