Die Saat
Emma.
Großer Gott!
Garys Gesicht verzerrte sich ungläubig. Er sank auf die Knie, streckte eine Hand nach seiner Tochter aus .,. und zögerte.
Würde sie wie eine Seifenblase zerplatzen?
Emma zeigte keinerlei Reaktion, ihre Miene war völlig teilnahmslos. Schließlich berührte Gary ihren Arm, umfasste ihren kleinen Bizeps. Den Stoff ihres Kleides. Ja, sie war real. Sie stand vor ihm. Er zog sie an sich.
Nach einer Weile ließ er sie wieder los und strich das strähnige Haar aus ihrem sommersprossigen Gesicht. Wie war das nur möglich? Er blickte in den Vorgarten, auf dessen Rasen ein leichter Dunst lag. Wer hatte sie hierhergebracht?
Doch er konnte weder einen Wagen in der Einfahrt sehen noch das Geräusch eines sich entfernenden Fahrzeugs hören.
War sie allein? Wo war ihre Mutter? »Emma«, flüsterte er.
Er richtete sich auf und ging mit ihr hinein, schloss die Haustür, schaltete das Licht ein. Emma wirkte benommen. Sie trug das Kleidchen, das ihr ihre Mutter für die Reise gekauft hatte und in dem sie so erwachsen gewirkt hatte, als sie es zum ersten Mal angezogen hatte und vor ihm herumgewirbelt war. An einem Ärmel klebte Schmutz - oder Blut? Gary musterte seine Tochter von oben bis unten und entdeckte Schrammen auf den Handflächen, Prellungen am Hals, dunkle Flecken an den Füßen. Wo waren ihre Schuhe?
»Was ist passiert, Emma?« Er hielt ihr kleines Gesicht zwischen seinen Handflächen. »Wie bist du ... ?« Eine weitere Woge der Erleichterung hätte ihn beinahe umgeworfen. Er hob Emma hoch und trug sie zum Sofa. Sie wirkte traumatisiert, fast apathisch. Ganz und gar nicht typisch für seine stets lächelnde, eigensinnige Tochter.
Er tastete ihr Gesicht ab - so wie es ihre Mutter immer machte, wenn Emma sich seltsam verhielt - und spürte die Hitze. Ihre Haut war so heiß, dass sie sich klebrig anfühlte. Und sie war furchtbar blass, fast transparent. Gary sah Adern unter der Oberfläche, rote Venen, die er noch nie an ihr bemerkt hatte.
Das Blau ihrer Augen war verblasst. Eine Kopfverletzung vermutlich. Sie stand unter Schock.
Er spielte kurz mit dem Gedanken, sie ins Krankenhaus zu bringen. Nein, er würde sie nicht mehr aus diesem Haus lassen. Nie wieder.
»Du bist jetzt zu Hause, Emma«, sagte er. »Alles wird wieder gut.«
Er stellte sie auf die Beine, nahm sie an die Hand und führte sie in die Küche. Essen! Er setzte sie auf einen Stuhl und beobachtete sie, während er zwei Schokowaffeln toastete. Sie saß da, die Hände an den Seiten, die Augen ins Nichts gerichtet. Keine Geschichten aus der Schule, kein Geplapper über dies und das ...
Die Waffeln sprangen aus dem Toaster, und Gary bestrich sie mit Butter und Sirup. Dann stellte er den Teller vor sie auf den Tisch und nahm ebenfalls Platz. Der dritte Stuhl- Mamis Stuhl - war leer. Aber vielleicht würde es ja gleich noch einmal klingeln ...
»Iss doch«, sagte er. Sie hatte noch nicht einmal die Gabel in die Hand genommen. Er schnitt eine Waffelecke ab und hielt sie ihr hin. »Nein?« Er steckte sich das Stück selbst in den Mund und tat so, als würde es vorzüglich schmecken und wieder reagierte sie nicht. Eine Träne rollte über sein Gesicht. Etwas Schreckliches war seiner Tochter widerfahren. Doch er schob all das beiseite.
Sie war hier, sie war wieder zurück. »Komm.«
Er führte sie die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer.
Emma blieb in der Tür stehen. Eine Art Erkennen, ein schwaches Erinnern schien in ihren Augen aufzuleuchten, wie bei einer alten Frau, die auf wundersame Weise in ihr Kinderzimmer zurückkehrt.
» Du musst schlafen.« Er suchte in der Kommode nach ihrem Pyjama.
Emma stand in der Tür, die Arme reglos an den Seiten. Mit dem Pyjama in der Hand ging Gary zu ihr. »Soll ich ihn dir anziehen?« Er kniete sich hin und zog ihr das Kleidchen über den Kopf. Erstaunlicherweise protestierte seine sonst so sittsame, vorpubertäre Tochter nicht. Gary entdeckte weitere Schrammen. Und eine große Prellung mitten auf der Brust. Ihr ganzer Körper fühlte sich unglaublich heiß an.
Nein, kein Krankenhaus! Er würde sie nie wieder aus den Augen lassen.
Im Badezimmer ließ er kaltes Wasser in die Wanne laufen.
Dann setzte er Emma hinein, kniete sich daneben und säuberte ihre Schürfwunden behutsam mit einem Waschlappen. Sie zuckte nicht einmal zusammen, sondern sah ihn mit ihren dunklen leeren Augen an. Wie in einer Art Trance. Oder einem Schockzustand.
Egal, er würde dafür sorgen, dass es ihr bald
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