Die Sache mit dem Ich
halb neun wirklich im Fackelschein auf dem Boden und buddelt für ein unbesiegbares Deutschland im Schmutz. So schaut’s aus, kein Witz.
Dass es kein ganz normaler Nachmittag werden würde, war von Anfang an klar: »Erleuchtung und Unsterblichkeit« hieß der Vortrag, den Lynch um 17 Uhr an der Berliner Urania halten sollte. Sonst dreht er Filme über abgeschnittene Ohren und Callgirls, die kurz vorm Tod vier Seelenwanderungen durchlaufen, heute berichtet er von den Vorzügen der Transzendentalen Meditation. Es ist ein Kreuzzug: Überall auf der Welt will Lynch Super-Unis errichten, »die den Weltfrieden bringen«. Wesentlichen Anteil daran sollen yogische Flieger haben, die ein paar Zentimeter über dem Boden schweben und ihr Wissen und ihre guten Vibes wie Pusteblumensamen über das Land verteilen.
Klingt erst mal gut, und gut sieht auch Lynch aus, als er die Bühne der Urania betritt. Besser als gut: Er trägt einen schwarzen Anzug zu weißem Hemd zu gelber Strich-Krawatte, seine Haare sind eine Tsunamiwelle in Eisgrau. Seit ein paar Wochen ist er mit derYogi-Nummer auf Tour, er traf Schimon Peres in Israel, Sarkozy in Frankreich, gestern den österreichischen Kanzler Gusenbauer. Hamburg, Hannover, Köln kommen auch noch dran. Alle mochten Lynch gern, und obwohl ihm noch keine Super-Uni-Lizenz zugesagt wurde, so Lynch, kapiere die Welt doch langsam, dass sich was ändern müsse, wenn sie nicht in Verbrechen, Stress und Aggressivität untergehen wolle. Wie schlimm alles sei, sehe man ja in seinen Filmen, zuletzt »Inland Empire«: nur Betrug, Mord, Schmutz, Lügen überall!
Die Transzendentale Meditation ist eine Entspannungstechnik, 1958 erfunden in Indien von dem Guru Maharishi Mahesh Yogi, der schlagartig berühmt wurde, als in den Sechzigern auf einmal die Beatles, Beach Boys, Dolly Parton, Donovan und Stevie Wonder zum Maharishi pilgerten, um sich ihr geheimes Mantra abzuholen und »einzutauchen in das endlose Meer, das das glückseligmachende innere Selbst ist«. 1973 tauchte auch Lynch in dieses endlose Meer und schwimmt seitdem täglich zweimal zwanzig Minuten darin, morgens und abends. Und erzählt jedem, der’s wissen will (und auch jedem, der’s nicht wissen will), dass er ohne TM keinen einzigen seiner Filme hätte drehen können. Gibt nicht wenige, die meinen, Lynch werde mit den Jahren immer irrer; das Problem ist nur: Irgendwie war er’s ja schon immer. Auf seiner Webseite verkauft er Kaffee und liest jeden Morgen den Wetterbericht vor.
Die knapp 200 Gäste, meist Studenten mit Brille oder sensible Yogatypen, applaudieren und fangen sofort an, Lynch Fragen zu seinen Rätselfilmen zu stellen: »Was geschah im Knast bei Lost Highway?«, »Wieso sang Isabella Rossellini ›Blue Velvet‹?«, »Was sollte der Zwerg in ›Twin Peaks‹?«, »Wenn Sie so friedlich sind, warum machen Sie dann so verstörende Filme?«.
Lynch lächelt und ist höflicher als der Dalai Lama, redet aber leider auch so: Jedem, der’s mal mit TM probiere, verspricht er »Glückseligkeit, Befriedigung, Erleuchtung«, dazu macht er Kreisbewegungen mit den Händen, Hypnose? Er bittet die »weltberühmten Wissenschaftler Prof. Dr. John Hagelin und Prof. Dr. Bevan Morris« auf die Bühne. Die erklären, TM sei »hundert Millionen Millionen Millionen mal stärker als Nuklearkraft« und radiere alle Negativität aus der Gesellschaft, das sei »einschlägig bewiesen«, es gäbe Statistiken, Studien, Beweise.
Soso, mhm, aha, na ja, raunt es im Publikum, aber nun kommt der wahre Star der Show: Er trägt ein weißes Gewand, Amulett und eine Goldkrone, die ein bisschen so aussieht wie die, die Burger King früher in Fußgängerzonen verteilt hat. Es ist Raja Emanuel, der Raja von Deutschland, und er verkündet, dass endlich eine neue Ära angebrochen ist. Die des unbesiegbaren Deutschlands nämlich.
Der Raja redet lustig, in einer Art Singsang, wie eine Mischung aus Jonathan Meese und dem Komiker Andy Kaufman. Ein paar Leute lachen: Crazy, was der Lynch sich da wieder ausgedacht hat, läuft eigentlich eine Kamera mit? Wenn nicht, wäre er wirklich irre, denn das hier könnte der größte Film seines Lebens werden!
Der Raja heißt eigentlich Emanuel Schiffgens, ist 58 Jahre alt und lebt in Hannover. 1970 ging er nach Indien zum Maharishi, heute ist er Vorsitzender der Maharishi Veda GmbH, dem deutschen Ableger des Weltkonzerns, den der Originalyogi mittlerweile aus seiner Meditiererei gemacht hat. Ein Konzern, den viele Leute für
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