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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fischer
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bald wieder sehr gut besucht sein wird.«
    »Oh, es ist eigentlich nicht für die Öffentlichkeit gedacht«, sagte Tokugahara. »Es ist für mich. So eine Art Alterssitz. Ein Mann, der gerade 78 geworden ist, hat keine Lust mehr, sich an den Wechsel der Temperaturen zu gewöhnen. Ich werde hier bleiben, bis ich sterbe. Den letzten Rest Leben genießen.«
    Yasuko entdeckte an einer der Bars irgendjemanden, den sie kannte.
    »Kann ich euch eine Zeit lang allein lassen?«
    Wir nickten.
    »Das Leben?«, nahm ich Tokugaharas letzten Satz wieder auf. »Aber hier ist doch nichts echt. Wie wollen Sie hier noch etwas vom Leben finden, außer den Zierfischen, die Sie in das Salzwasser gekippt haben?«

    »Das stimmt«, sagte Tokugahara. »Es ist besser als echt: Keine gefährlichen Strömungen, keine Haifische, kein schlechtes Wetter. Und der Strand ist ein Abbild des Lebens selbst: Kinder, die schwimmen lernen, das ist die Geburt, der Ursprung. Junge Männer, die auf den Wellen reiten, hinunterfallen, aber wieder aufstehen, um das, was sie lernen, zu vervollkommnen. Ist das nicht so wie das Leben mit all seinen Unwägbarkeiten? Und die Alten, die sich an den Strand legen und die Wärme der letzten Sonnenstrahlen genießen – das ist der Tod, die Vorbereitung auf das Ende.«
    So konnte man es sehen, dachte ich.
    »Sie handeln mit Kunst?«
    »Früher mal«, sagte Tokugahara. »Ich hatte mich verliebt. In ein Bild von Gauguin. Sie kennen Gauguin?«
    »Sicher: Tahiti, die Südsee, Kokosnüsse, Frauen.«
    »Mein ganzes Leben lang war ich auf der Suche nach diesem Bild«, unterbrach mich Tokugahara. »Es war das perfekte Bild, das beste, das Gauguin je gemalt hat: das perfekte Sujet, die perfekten Farben, die perfekte Linienführung, die perfekte Stimmung. Ich fand es unter den außergewöhnlichsten Umständen und liebte es sehr, entschied mich aber, es an einen sehr wohlhabenden Russen zu verkaufen, und dieses Geschäft wurde zum Grundstock meines Vermögens.«
    »Wie heißt es denn, dieses Bild von Gauguin?«
    »Seltsame Frau in der Südsee«, sagte Tokugahara.
    Ich überlegte einen Moment lang.
    »Das kenne ich gar nicht«, sagte ich dann.
    Tokugahara sah mich an, sehr lange. Ich weiß nicht, wie er es machte, aber sein Blick war in diesem Moment nicht der eines alten, etwas wunderlichen Mannes, sondern der eines sehr viel jüngeren. Ein Rest von einer irgendwann in seinem Leben getroffenen Entscheidung haftete diesem Blick an; ein Rest von einer sehr wichtigen, bedeutsamen Entscheidung.

    Dann drehte Tokugahara sich um, hob den rechten Arm und winkte irgendjemandem in der Kommandozentrale seiner Kuppelwelt ein Zeichen zu. Ein paar Sekunden später schon begann der helle Kreis am Horizont, der die Sonne war, in einem sanften Bogen zu sinken und der Himmel verdunkelte sich. Nach einer Viertelstunde, wir hatten kaum geredet, war die ganze Halle in glutrotes Licht getaucht, und die Menschen, die eben noch im Wasser herumgesprungen oder geredet und getrunken hatten, waren still geworden und verharrten, ihren Blick auf den Horizont gerichtet.
    Die Sonne ging unter, und sie war in diesem Moment tatsächlich echter als alles, was ich je gesehen hatte.
    Ich dachte noch immer an dieses Bild von Gauguin, von dem ich nie in meinem Leben gehört hatte.
    »Wunderbar, nicht?«, sagte Tokugahara und sah zu dem letzten Stück des roten Balls, der jetzt von der Wasserlinie geschluckt wurde. »Wollen Sie es noch mal sehen?«

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Vorm Berghain
    Eine Samstagnacht Ende Februar, Wriezener Bahnhof, 2.35 Uhr. Ricardo, Maria, Jose und Angelina, kleine, dunkelhaarige Spanier allesamt, Studenten der Literatur, Geschichte, Linguistik allesamt, in ihren Zwanzigern allesamt, stehen im hinteren Drittel einer sechzig Meter langen Menschenschlange vor einem ehemaligen Heizkraftwerk, das sich wie eine zerlumpte Burg vor ihnen erhebt.
    »Mir ist kalt«, sagt Angelina.
    »Mir auch«, sagt Maria. »Ich hätte doch die Snowboardjacke anziehen sollen.«
    »Auf keinen Fall«, sagt Ricardo. »Dann hätten wir gar nicht erst zu kommen brauchen. Oder hast du vergessen, was Jaime passiert ist?«
    »Jaime kam nicht rein?«
    »Jaime kam nicht rein.«
    »Weil er eine Snowboardjacke anhatte?«
    »Weil er aussah wie ein Vollidiot.«
    Seit Freitagmittag sind die vier in der Stadt, mit Easy Jet über Schönefeld, 34,99 Euro, Handgepäck only, no drinks, no food. Sie wohnen in einer Pension in Kreuzberg und haben sich ein paar Dinge angesehen in Berlin, Siegessäule,

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