Die Sache mit dem Ich
Tequila Blanco (ungelagert, pur), dann einen Reposado (etwas älter, zimtig) und einen Añejo (Eichenfass-gereift, rauchig). Allesamt ohne Salz und Limone diesmal, so wie’s der wahre Tequila-Mann seiner Meinung nach tut.
»Und, Amigo?«
»Grässlich. Tut mir leid, echt. Brennstoff, Äther, Rasenmäherfusel. Warum trinkt ihr so was?«
»Die Frage ist eher, warum du so was trinkst, wenn’s dir nicht schmeckt.«
»Ich habe mal ein Mädchen an Tequila verloren.«
Schwindel. Hitze. Schmerzen.
»Oh. Hat sie sich totgetrunken?«
»Nein. Aber ich fast.«
Mitleidiges Augenrollen von Don Javier an mir vorbei durch den ganzen Raum.
»He, Javier, kannst du dem rosa Sombrero helfen? Kennst du nicht jemanden, der auf den Feldern arbeitet?«
Zum ersten Mal an diesem Abend bewegt sich der Schnauzbärtige.
»Hrmmmrmpff«. Dann holt er sein Handy raus und ruft seinen Freund Antonio an.
Antonio arbeite auf den Agavenfeldern von Jose Cuervo, sagt Don Javier. Jose Cuervo ist der letzte große Tequila-Konzern, der noch Mexikanern gehört. Und der weltweit mächtigste. Kaufst du irgendwo in Deutschland eine Flasche Tequila, die nicht die mit dem Sombrero drauf ist (»Sierra Tequila«, wird aus Hamburg vertrieben), ist es mit ziemlicher Sicherheit Jose Cuervo. Seit über 200 Jahren macht die Firma Mexiko betrunken. Im Zentrum Tequilas besitzt der heutige Besitzer, ein schlau eingeheirateter Deutscher, Juan Domingo Beckmann, eine Hacienda, um die ihn jeder kolumbianische Drogenlord beneiden würde. Das Volk nennt ihn »Don Juan«.
Früh am nächsten Morgen, um kurz nach halb sechs, lässt mich Antonio von einem Kollegen vom Hotel abholen.
Wir fahren etwa eine halbe Stunde lang, bis wir die Agavenfelder erreichen, die sich endlos zwischen dem erloschenen Vulkan und der gegenüberliegenden Gebirgskette erstrecken. Alles ist übersät mit den blaugrünen Dornenblättern der Tequila-Agave; übrigens eine Spargelart, kein Kaktus. Es ist kurz vor Sonnenaufgang, als wir Antonio und seine Männer entdecken. Sie tragen schwere Stiefel, Holzfällerhemden und Sombreros; in den Händen halten sieRundspaten, die so scharf sind, dass du damit einen Tiger rasieren könntest.
»Gibt’s hier gefährliche Tiere, Antonio?«
»Nur Klapperschlangen, Skorpione und Tausendfüßler. Die sind aber alle nachtaktiv.«
»Es ist doch praktisch noch Nacht!«
»Darum pass auf, Amigo.«
Schon nach fünf Minuten ist klar, dass ihre Arbeit die denkbar schwerste ist. Zuerst hacken die Männer die Stachelblätter von der Pflanze weg, bis nur noch ihr ananasförmiges Herz übrig ist. Darin befindet sich das Fruchtfleisch, aus dem später der Agavensaft gewonnen wird. Zehn Jahre braucht die Agave zur Erntereife; sie wiegt zwischen vierzig und fünfzig Kilo und wird tonnenweise von Antonio und den anderen auf den Laster geschleppt. Fünfzig US – Dollar machen sie an einem guten Tag, der mittags vorbei ist, weil dann die Sonne alles und jeden verbrennt.
»Was hat die Agave für dich getan, Antonio?«
»Sie gibt mir, meiner Frau und den Kindern zu essen und ein Dach überm Kopf.«
»Ein gutes Dach?«
»Ein gutes Dach.«
»Trinkst du?«
»Zuletzt vor fünfzehn Jahren. Der Tequila ist wie die Agave, aus der er stammt.«
»Wie meinst du das?«
»Schau sie dir doch an. Sie ist schön, aber stachlig. Nicht unbedingt ein Genuss, aber doch von unglaublicher Wirkung. Dem, der damit umzugehen weiß, kann der Tequila unglaubliche Kraft verleihen. Den, der das nicht kann, kann er verschlingen. Ich war mal in Gefahr, verschlungen zu werden.«
Er geht zurück ins Feld und verschwindet darin.
Jedes Volk hat seinen Drink, denke ich, als wir zurück in den Ort fahren. Die Russen haben ihren Wodka, der sie laut und hart machtwie Kokain. Die Kubaner haben ihren Rum, der sie scharf und tanzend macht. Die Franzosen haben ihren Wein, der sie ab und zu auf gute Gedanken bringt. Die Deutschen haben ihr Bier, das sie schwer macht und erdet wie die Wurzeln eines sehr alten Baumes. Alle diese Drinks kann man genießen, jeden auf seine Art.
Die Mexikaner haben ihren Tequila, der mit Genuss nichts zu tun hat. Vielleicht liegt es am Land, an der Geschichte: Die Ur-Bevölkerung von den spanischen Conquistadores ausgerottet und zwangsmissioniert; später dann, hatte die Archivarin erzählt, war der Tequila der Treibstoff, der den mexikanischen Revolutionären die Angst vorm Kampf nahm. Schönheit und Schmerz, wie Antonio gesagt hatte. Eine zutiefst südamerikanische
Weitere Kostenlose Bücher