Die Sache mit dem Ich
Angelegenheit also.
Bloß, was bedeutet all das für mich, der ein Trauma zu überwinden hat? Dass ich keine Revolutionärsleber habe? Dass ich keine fünf Tage allein in Mexiko überleben würde? Dass ich Mädchen statt Macho bin? Oder im Herzen Conquistador? Guter Gott, ich brauche dringend was zu trinken!
Es ist kurz nach Mittag, als ich verschwitzt und müde La Capilla betrete.
»Na, rosa Sombrero – wie war’s?«, fragt Don Javier, als er sich gerade einen Blanco eingießt, aus hundertprozentiger Blauer Jalisco-Agave.
»Einen morgens, einen mittags, einen abends – nicht mehr und nicht weniger, das ist das Geheimnis von Alter, Glück und Gesundheit«, sagt er, als er meinen Blick bemerkt. »Frag den Pfarrer, frag den Arzt, frag den Alten auf der Parkbank.
Sie alle werden mir zustimmen.«
Und ja, vielleicht ist es das wirklich: Der Tequila hat dem Ort Frieden und Wohlstand gebracht und seinen Bewohnern den Grundsatz eingebläut, den auch jeder ernst zu nehmende Drogendealer befolgt: Don’t get too high on your own supply. Wer im Herz der Sünde sitzt, weiß meist am besten mit ihr umzugehen. Frag den Arzt, frag den Pfarrer, frag den Alten auf der Parkbank.
»Ich habe Durst, Don Javier.«
»Ich mix dir was, Hutmann«, sagt Don Javier. Er schüttet etwas Tequila Blanco, Coca Cola und Limonensaft zusammen, lässt ein paar Eiswürfel ins Glas fallen, rührt alles zusammen, befeuchtet den Rand mit Salz und reicht es mir.
»Hier, ein Batanga nach Art des Hauses für dich. Gibt ein paar Leute in Tequila, die behaupten, ich hätte ihn erfunden. Ob du’s glaubst oder nicht, überlass ich dir.«
Er schmeckt frisch und klar und lebendig, nach Meer, Sex und Mexiko. Ein bisschen wie Cuba Libre vielleicht, aber es ist auf jeden Fall der beste Tequila-Drink, den ich je hatte.
»Exzellent!«, sage ich und schaue Don Javier überrascht an.
»Vielleicht hattest du damals in Tijuana auch gar nicht den falschen Alkohol«, sagt er. »Sondern einfach nur den falschen Drink.«
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Seltsame Frau in der Südsee
Als Yasuko mir sagte, wir seien eingeladen, dachte ich, wir gingen wieder auf eine von diesen Künstlerpartys in Harajuku, auf denen die Leute schwarze Tüllschleier über den Ohren tragen und Blumengebinde statt Schuhen und darüber reden, dass alle zeitgenössische Kunst eigentlich gesprengt gehöre oder zumindest für das Neunfache bei Sotheby’s versteigert, damit es überhaupt irgendeinen Grund gebe, sie an die Wand zu hängen, stellen, legen. Ich hätte nicht erwartet, dass wir zweieinhalb Stunden fliegen müssten, bloß um auf der Geburtstagsparty irgendeines alten Freundes zu erscheinen, dessen Namen sie in den zwei Jahren unseres Zusammenseins kein einziges Mal erwähnt hatte.
Aber so war das mit Yasuko damals: So recht wusste man nie, was man zu erwarten hatte, wenn sie irgendwas plante – ich hätte lernen müssen aus dem Abend, an dem sie vorschlug, nur mal kurz eine Suppe essen zu gehen, und ich mich auf einem Happening namens »Origami- MIG « wiederfand, auf dem Yoko Ono und der Architekt Tange Kenzo russische Kampfjets aus Papierservietten bastelten. Sehr schöne Kampfjets, im Übrigen.
Und jetzt fand ich mich eben auf dem Flughafen von Myazaki wieder, einer mittelgroßen Stadt auf der Insel Kyushu im Süden Japans.
Ich wollte gerade unsere Koffer vom Laufband holen, als Yasuko mir in den Arm griff.
»Wir gehen gleich zum Ausgang«, sagte sie.
»Und das Gepäck?«
»Tokugahara kümmert sich.«
»Ah ja.«
»Taxi!«, rief ich draußen vor dem Flughafen.
Yasuko zog meinen Arm herunter.
»Tokugahara kümmert sich.«
Dann waren sie auch schon da: zwei Männer in hellen Anzügen. In den Händen des einen: unsere Koffer. In den Händen des anderen: Schilder mit unseren Namen darauf. Neben ihnen: eine Limousine, die im Schritttempo auf uns zukam.
»Sayonara.«
»Sayonara.«
Im Inneren der Limousine servierten sie uns kalte Margaritas.
Tokugahara kümmerte sich scheinbar wirklich.
Im Wagen, während Hügel und heiße Quellen an uns vorüberzogen, fragte ich Yasuko nach Tokugahara.
»Was macht er so?«
»Er ist reich.«
»Wie reich?«
»Sehr.«
»Wodurch geworden?«
»Irgendwas mit Kunst. Weiß nicht so genau. Es ist lange her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Er hat viel Zeit in China und Russland verbracht. War immer ein sehr umtriebiger Typ. Ständig unterwegs.«
Auf einmal standen wir vor einem Gebäudekomplex, etwa so groß wie drei Fußballfelder. »Ocean
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