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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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jetzt vor der Kälte und kamen herein. Männer und Frauen holten Bretter und Böcke, die auf einer Seite des Saals aufgestapelt waren, und errichteten damit einen großen, T-förmigen Tisch. Dann stellten sie Stühle an den Schmal- und Bänke an den Längsseiten auf. Jack hatte noch nie so viele Menschen zusammenarbeiten sehen und staunte darüber, mit welcher Begeisterung sie bei der Sache waren. Lachend hoben sie die schweren Bretter vom Stapel, riefen »Hau ruck!«, und »Zu mir her!«, und »Runter jetzt, vorsichtig!«. Jack beneidete sie um ihre Kameradschaft und fragte sich, ob er auch eines Tages daran würde teilhaben dürfen.
    Nach einer Weile ließen sich alle Leute auf den Bänken nieder. Ein Diener verteilte große Holzschüsseln und Holzlöffel, wobei er mit lauter Stimme mitzählte. Dann ging er noch einmal von einem zum anderen und warf je eine dicke Scheibe altbackenes Brot in die Schüsseln. Ein anderer Diener verteilte hölzerne Becher und schenkte aus großen Krügen Bier ein. Jack, Martha und Alfred, die gemeinsam am Grund eines großen ›T‹ saßen, bekamen alle eigene Becher, sodass es keinen Anlass zum Streit gab. Jack griff zu und wollte trinken, doch seine Mutter bat ihn, noch einen Augenblick zu warten.
    Nachdem alle Anwesenden mit Bier versorgt waren, wurde es auf einmal still. Graf Bartholomäus kam die Treppen herabgeschritten, die zu seinen Gemächern führten. Ihm folgten Haushofmeister Matthew, drei oder vier andere gut gekleidete Herren, ein Junge – und das schönste menschliche Wesen, das Jack in seinem Leben je gesehen hatte.
    Es war ein Mädchen oder eine Frau, er wusste es nicht genau zu sagen. Sie war ganz in Weiß gekleidet, und ihre Tunika hatte erstaunlich weite Ärmel, welche, als sie die Treppe hinabschwebte, hinter ihr über den Boden schleiften. Ihre dunklen Haare umspielten in üppig wallender Lockenpracht das Gesicht. Jack wusste sofort, wer diese Feengestalt war: Es war die schöne Prinzessin aus den Chansons . Kein Wunder, dass alle Ritter weinten, wenn sie starb!
    Als die Prinzessin den Saal betrat, erkannte Jack, dass sie noch recht jung war, bloß ein paar Jahre älter als er, doch sie hielt den Kopf hoch erhoben und schritt wie eine Königin zur Schmalseite des Tisches. Dort nahm sie an der Seite des Grafen Platz.
    »Wer ist das?«, flüsterte Jack.
    »Das muss die Tochter des Grafen sein«, antwortete Martha.
    »Wie heißt sie?«
    Martha zuckte mit den Schultern, doch ein kleines Mädchen mit ungewaschenem Gesicht, das neben Jack saß, hatte die Frage gehört und sagte: »Sie heißt Aliena. Sie ist wunderschön.«
    Der Graf hob seinen Becher aufs Wohl seiner Tochter. Dann sah er langsam von einem zum anderen und trank. Auf dieses Zeichen hatten alle gewartet. Sie hoben die Becher und tranken.
    Das Abendessen wurde in gewaltigen, dampfenden Kesseln hereingetragen. Zuerst wurde dem Grafen serviert, dann seiner Tochter, dem Knaben und den Männern, die bei ihnen am Kopf des Tisches saßen. Alle anderen bedienten sich selber. Es gab einen würzigen Eintopf mit gesalzenem Fisch. Jack füllte seine Schüssel und aß mit großem Appetit. Schnell war er bei der Brotscheibe angelangt, die inzwischen mit öliger Suppe getränkt war. Beim Kauen starrte er Aliena an. Alles, was sie tat, faszinierte ihn – von der gezierten Art, wie sie kleine Fischbrocken aufs Messer spießte und zwischen den blendend weißen Zähnen hindurch in den Mund schob, bis hin zu ihrer befehlsgewohnten Stimme, mit der sie die Diener herum­kommandierte. Alle schienen sie zu mögen: Sie kamen sofort, wenn Aliena sie rief, lächelten, wenn sie zu ihnen sprach, und führten ihre Aufträge mit größter Eile und Gewissenhaftigkeit aus. Die jungen Männer, die am Tisch saßen, bewunderten Aliena ebenfalls, und Jack merkte, wie sie sich aufspielten, wenn sie glaubten, die Tochter des Grafen blicke in ihre Richtung. Sie schenkte ihnen allerdings kaum Beachtung, sondern widmete ihre Aufmerksamkeit vorrangig den älteren Herren aus der Begleitung ihres Vaters. Sie achtete darauf, dass sie immer genug Brot und Wein hatten, stellte ihnen Fragen und lauschte aufmerksam ihren Antworten. Wie das wohl wäre, dachte Jack, wenn sich eine so schöne Prinzessin einmal mit mir unterhalten und mich dabei mit ihren großen, dunklen Augen anschauen würde …
    Nach dem Abendessen kam die Musik. Zwei Männer und eine Frau spielten mit Schafglocken, einer Trommel und Flöten, die aus Tierknochen gefertigt waren,

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