Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
nehmen«, sagte er, »aber wir können Euch nicht gebrauchen.«
Tom nickte. Bei diesem Stand der Dinge war es ratsam, sich zu fügen, einen mitleidheischenden Blick aufzusetzen und um eine Mahlzeit sowie ein Obdach für die kommende Nacht zu bitten. Aber diesmal war Ellen bei ihm, und er fürchtete, sie könnte ihn verlassen, und deshalb entschloss er sich zu einem letzten Versuch. Laut genug, dass auch der Graf es hören konnte, sagte er: »Ich hoffe nur, dass Ihr Euch in naher Zukunft nicht schlagen müsst!«
Die Reaktion übertraf alle seine Erwartungen. Matthew fuhr erschrocken zusammen, und der Graf stand auf und sagte mit scharfer Stimme: »Was soll das? Warum sagt Ihr das?«
Da habe ich anscheinend einen wunden Punkt getroffen, dachte Tom und antwortete: »Weil sich Eure Verteidigungsanlagen in einem sehr schlechten baulichen Zustand befinden.«
»Inwiefern?«, fragte der Graf. »Drückt Euch gefälligst etwas deutlicher aus, Mann!«
Der Graf war aufgebracht, hörte jetzt aber genau zu. Tom holte tief Luft. Eine zweite solche Chance bekomme ich bestimmt nicht, dachte er.
»Aus den Mauern des Torhauses bröckelt vielerorts der Mörtel heraus. Das sind prächtige Ansatzstellen für die Brechstange. Hat der Feind erst einmal ein, zwei Steine ausgehebelt, fällt die Mauer schnell. Außerdem …« Um zu verhindern, dass ihm jemand ins Wort fiel, sprach Tom jetzt sehr schnell. »Außerdem sind die Zinnen und Brüstungen der Türme beschädigt. An manchen Stellen gibt es kaum noch welche. Im Falle eines Angriffs sind Eure Ritter und Bogenschützen also ohne Deckung …«
»Ich weiß, wozu man Brüstungen braucht«, unterbrach ihn der Graf pikiert. »Sonst noch was?«
»Ja. Das Vorratslager hier im Wohnturm ist nur durch eine Holztür gesichert. Wenn ich das Gebäude angreifen wollte, würde ich dort eindringen und Feuer legen.«
»Und was würdet Ihr tun, wenn Ihr der Graf wäret und einen solchen Angriff verhindern wolltet?«
»Ich würde ausreichend Sand und Kalk und einen Haufen passender Steine beschaffen lassen und dafür sorgen, dass ein Maurer bereitsteht, der bei Gefahr im Verzug den Eingang sofort dichtmacht.«
Graf Bartholomäus starrte Tom an. Er hatte die blassblauen Augen zusammengekniffen und runzelte die weiße Stirn. Tom wusste mit dieser Miene nichts anzufangen. Ist er böse auf mich, weil ich mich so kritisch über die Verteidigungsanlagen seiner Burg geäußert habe, fragte er sich. Man konnte nie wissen, wie die hohen Herren auf Kritik reagierten … Im Allgemeinen war es günstiger, sie ihre Fehler machen zu lassen. Aber Tom trieb der Mut der Verzweiflung.
Der Graf schien sich endlich zu einer Entscheidung durchgerungen zu haben. Er wandte sich an Matthew und sagte: »Stell den Mann ein!«
Tom unterdrückte mit Mühe einen Jubelschrei. Er konnte es kaum fassen. Überglücklich lächelte er Ellen zu, und sie lächelte zurück. Unbelastet von den Hemmungen der Erwachsenen, schrie Martha laut: »Hurra!«
Graf Bartholomäus hatte sich abgewandt und unterhielt sich mit einem Ritter. Mit dem freundlichsten Lächeln fragte Matthew Tom: »Habt Ihr heute schon zu Mittag gegessen?«
Tom schluckte. Vor lauter Glück kamen ihm beinahe die Tränen. »Nein«, sagte er.
»Dann kommt, ich zeige Euch die Küche.«
Der Haushofmeister führte sie über die Brücke zum unteren Ring. Die Küche war ein großes Holzhaus mit einem Sockel aus Stein. Matthew hieß sie vor der Tür warten. Ein süßlicher Geruch hing in der Luft und verriet, dass gerade Törtchen gebacken wurden. Toms Magen knurrte heftig, und das Wasser lief ihm im Munde zusammen. Kurz darauf kehrte Matthew zurück und reichte Tom einen großen Krug Bier. »Man wird Euch gleich Brot und kalten Speck bringen«, sagte er und ließ sie allein.
Tom trank einen Schluck Bier und gab den Krug an Ellen weiter, die zunächst Martha trinken ließ, bevor sie ihn selbst an den Mund setzte. Als sie fertig war, kam Jack an die Reihe, doch ehe er trinken konnte, griff Alfred zu, um ihm den Krug zu entreißen. Jack hatte offenbar damit gerechnet; er drehte sich rasch um, sodass Alfred den Krug verfehlte. Bloß nicht schon wieder eine Streiterei, dachte Tom, ausgerechnet jetzt, da sich alles zum Guten wendet! Schon wollte er dazwischenfahren und seinem Grundsatz, sich nicht in die Auseinandersetzungen der Kinder einzumischen, untreu werden, als Jack sich wieder umdrehte und mit lammfrommer Miene Alfred den Bierkrug entgegenstreckte.
Alfred setzte
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