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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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führte, und erreichte alsbald eine quadratische Rasenfläche, die rundum von einem Bogengang umschlossen war. Gespenstisch schimmerte der blasse Stein der Bogen im Mondlicht, während undurchdringliche Schwärze den im Schatten liegenden Gang verhüllte. Jack wartete, bis sich seine Augen an die Düsternis gewöhnt hatten.
    Die Gasse hatte ihn zum Ostrand des Kreuzgangs geführt. Linker Hand konnte er die Tür des Kapitelhauses erkennen. Dahinter, am Südende des Ostgangs, befand sich eine weitere Tür, von der Jack annahm, dass sie zum Dormitorium führte. Rechter Hand führte eine dritte Tür ins südliche Querhaus, aber auch sie war verschlossen, ebenso eine vierte, an der Jack im Nordgang sein Glück versuchte.
    Schließlich kam er in der Südwestecke des Kreuzgangs an eine fünfte Tür. Sie führte zum Refektorium. Jack fragte sich, wie viel Lebensmittel wohl herbeigeschafft werden mussten, um so viele Mönche tagein, tagaus zu ernähren. Neben der Tür befand sich ein kleiner Brunnen mit einem Becken: Die Mönche wuschen sich vor dem Essen die Hände.
    In der Mitte des Südgangs war seitwärts ein Bogen eingelassen. Jack betrat einen schmalen Korridor, der das Refektorium auf der rechten vom Dormitorium auf der linken Seite trennte. Er stellte sich die schlafenden Mönche vor, die gleich hinter der Mauer auf dem Boden lagen. Der Korridor endete unmittelbar vor der morastigen Uferböschung des von dort aus noch ungefähr hundert Schritt entfernten Flusses. Jack schaute auf das Wasser hinab und musste, ohne zu wissen warum, an die Geschichte von dem Ritter denken, dem man den Kopf abgeschlagen hatte und der dennoch weiterlebte. Und er hatte auf einmal die Vision, der Ritter ohne Kopf entsteige dem Fluss und komme über die Böschung auf ihn zu. In Wirklichkeit rührte sich nichts, doch die Angst war da und ließ sich nicht vertreiben. Rasch drehte er sich um und lief zum Kreuzgang zurück. Dort fühlte er sich sicherer.
    Er zögerte, als er das vom Mondlicht übergossene Viereck wieder vor sich sah. Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben, sich in ein so großes Gebäude einzuschleichen, dachte er, wusste aber nicht, an welcher Stelle er noch suchen sollte. In gewisser Hinsicht war er ganz froh darüber. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, eine furchtbar gefährliche Tat zu begehen. Um so besser, wenn sich jetzt herausstellte, dass diese Tat undurchführbar war … Andererseits: Die Vorstellung, bei Tagesanbruch das Kloster verlassen und weiterwandern zu müssen, war ihm ein Graus. Diese endlose Marschiererei, der Hunger, Toms Wut und Enttäuschung, Marthas Tränen … Ein kleiner Funke aus dem Feuerstein, den er in einem Beutel an seinem Gürtel trug, konnte dies alles verhindern!
    Eine Bewegung am Rande seines Blickfelds schreckte ihn auf. Sein Herz schlug schneller. Jack drehte den Kopf und erblickte eine geisterhafte Gestalt mit einer Kerze in der Hand, die geräuschlos über den Ostgang auf die Kirche zu glitt. Nur mit Mühe gelang es ihm, einen Schrei zu unterdrücken. Eine zweite Gestalt folgte der ersten nach. Jack trat zurück in den Schatten des Torbogens und biss sich, um nicht vor Angst zu weinen, in die geballte Faust. Ein unheimlicher, klagender Laut erfüllte auf einmal den Kreuzgang. Das nackte Entsetzen hatte Jack gepackt – doch dann dämmerte ihm langsam, was sich da vor seinen Augen abspielte: Es war die Prozession der Mönche vom Dormitorium zur Kirche. Die Zeit der Mitternachtsmesse war gekommen, und die Brüder sangen ein frommes Lied. Obwohl er nun wusste, worum es ging, dauerte es noch eine ganze Weile, bis er sich von seinem Schrecken erholt hatte. Er begann am ganzen Leib zu zittern und konnte nichts dagegen tun.
    Der Mönch, der die Prozession anführte, sperrte mit einem riesengroßen eisernen Schlüssel die Kirchentür auf. Einer nach dem anderen verschwanden die Brüder in der Kathedrale. Kein einziger von ihnen drehte sich um und sah in Jacks Richtung. Die meisten erweckten den Eindruck, als schliefen sie noch halb, und niemand dachte daran, die Tür wieder zu verschließen.
    Als Jack wieder zu sich fand, merkte er sofort, dass ihm jetzt der Weg in die Kirche offenstand.
    Aber seine Beine versagten ihm den Dienst.
    Ich brauche doch nur einmal hineinzuschauen, sagte er sich, sonst nichts. Ich schaue hinein und sehe nach, ob es irgendwo einen Aufgang zum Dach gibt. Niemand zwingt mich, dort Feuer zu legen … Ich schaue es mir nur an …
    Er holte tief Luft, verließ seinen

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