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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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sterblichen Überreste eines Heiligen konnten eine große Attraktion für eine Kirche sein. Sie lockten nicht nur viele Pilger an, sondern stärkten auch den Glauben allgemein. Da sie sehr viel Geld einbrachten, kam es sogar vor – welch eine Schande! –, dass Mönche Heiligenreliquien aus anderen Kirchen stahlen. Philip hatte vor, das Interesse an Adolphus wiederzubeleben. Er musste das Skelett retten.
    Da er die Steinplatte allein nicht heben und den Sarg allein nicht tragen konnte, brauchte er Hilfe. Im Grunde hätte der Sakristan auch an den Heiligen denken können, aber er war nirgends zu sehen. Der nächste Mönch, der das Dormitorium verließ, war Remigius, der eingebildete Subprior. Nun musste eben er mit anpacken. Philip rief ihn zu sich und sagte: »Komm, hilf mir, die Gebeine des Heiligen zu bergen!«
    Angstvoll blickte Remigius mit seinen blassgrünen Augen auf die brennende Kathedrale, doch nach kurzem Zögern überwand er sich und folgte Philip ins Innere.
    Das Feuer hatte sich, obwohl Philip die Kirche erst vor kurzer Zeit verlassen hatte, enorm ausgeweitet. Ein stechender Geruch, wie von Pechfackeln, stieg Philip in die Nase. Trotz der Flammen fegte ein kühler Zug durch das Gebäude: Während der Rauch durch die klaffenden Löcher im Dach entwich, sog das Feuer kalte Luft durch die Fenster. Der aufsteigende Wind fachte die Flammen zusätzlich an. Glühende Asche regnete herab, und verschiedene schwere Balken im Dachstuhl erweckten den Eindruck, als könnten sie jeden Augenblick herunterstürzen. Bisher hatte Philip sich nur um seine Mitbrüder und um den Klosterschatz gesorgt – jetzt fürchtete er zum ersten Mal um sein eigenes Leben. Er zögerte, unschlüssig, ob er sich noch weiter in das Inferno vorwagen sollte.
    Je länger ich warte, desto größer wird das Risiko, dachte er. Und wenn ich noch lange grübele, verliere ich vollends die Nerven … Er hob seine Kutte an, rief Remigius zu: »Folge mir!«, und rannte ins Querhaus. Überall am Boden brannten kleine Feuerchen, die er sorgsam umging. Er wusste, dass er jeden Augenblick damit rechnen musste, von herabstürzendem Gebälk erschlagen zu werden. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals; am liebsten hätte er der inneren Spannung, die ihn beherrschte, mit einem lauten Schrei Erleichterung verschafft. Doch dann war er auch schon auf der anderen Seite und im Schutz des Seitenschiffs angelangt.
    Er blieb stehen. Die Seitenschiffe besaßen steinerne Gewölbe, weshalb das Feuer dort keine Nahrung fand. Remigius war an seiner Seite. Philip hatte Rauch eingeatmet; er hustete und keuchte.
    »Hier kommen wir nicht mehr lebendig raus«, sagte Remigius.
    »Der Herr wird uns beschützen«, erwiderte Philip – und dachte im gleichen Augenblick: Wieso fürchte ich mich dann?
    Doch für theologische Fragen war jetzt keine Zeit.
    Im Schutz des Seitenschiffs erreichte er die Apsis. Das mit kunstvollem Schnitzwerk versehene Chorgestühl stand in Flammen, und Philip spürte die davon ausgehende Hitze. Er empfand den Verlust wie einen körperlichen Schmerz, verdrängte ihn jedoch und konzentrierte sich auf seine Aufgabe.
    Der Sarkophag stand auf einem niedrigen Sockel. Philip und Remigius mussten die Steinplatte abheben, den Sarg herausholen und ihn ins Seitenschiff schaffen, während sich das Dach über ihnen in seine Bestandteile auflöste. Philip sah Remigius an. Die etwas hervorstehenden grünen Augen des Subpriors waren vor Angst geweitet. Um Remigius nicht noch zusätzlich zu verschrecken, verbarg Philip seine eigene Furcht. »Pack du an diesem Ende an, ich greif mir das andere!«, sagte er und wartete nicht erst auf Zustimmung. Remigius folgte seinen Anweisungen.
    Die schwere Steinplatte rührte sich nicht vom Fleck.
    Philip sah ein, dass er mehr Helfer hätte mitnehmen müssen.
    Er hatte einfach nicht gründlich nachgedacht. Zurücklaufen und Hilfe holen konnte er jetzt nicht mehr, denn es stand zu befürchten, dass das Querhaus in Kürze nicht mehr passierbar war. Aber wir können doch die Gebeine des Heiligen nicht hierlassen, dachte er. Über kurz oder lang wird ein Balken auf das Grabmal stürzen und die Steinplatte zerschmettern, danach fängt der Holzsarg Feuer, und der Wind wird die Asche in alle Himmelsrichtungen zerstreuen … ein furchtbares Sakrileg und ein entsetzlicher Verlust für die Kathedrale.
    Plötzlich kam ihm eine Idee. Er ging um das Grabmal herum und winkte Remigius zu sich. Er kniete nieder und stemmte beide Hände unter das

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