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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Stich zu lassen und um sein Leben zu laufen, erblickte mit einem Mal Bruder Milius, Cuthbert Whitehead und Tom Builder, drei höchst wirkliche Gestalten, die ihm zu Hilfe eilten. Sein Herz schlug plötzlich höher vor Freude und Erleichterung, und da war er sich gar nicht mehr so sicher, dass oben im Dachstuhl ein böser Geist herumturnte.
    »Gott sei Dank!«, rief er und fügte überflüssigerweise noch hinzu: »Kommt, helft mir!«
    Tom prüfte das Dach mit kritischem Blick. Geister schien er dort nicht zu sehen, aber er sagte: »Beeilen wir uns!«
    Sie hoben den Sarg hoch und luden ihn sich auf die Schultern, ein jeder an einer anderen Ecke. Selbst für vier Männer war das Gewicht noch gewaltig. »Vorwärts!«, rief Philip, und sie strebten, gebeugt unter ihrer Last, dem Ausgang zu.
    Kurz vor dem südlichen Querschiff rief Tom lauthals: »Wartet!« Der Boden war übersät mit Trümmern und kleineren Brandherden, und immer mehr brennendes Holz fiel von oben herab. Philip versuchte, irgendwo einen Pfad ausfindig zu machen. Sie waren noch nicht weitergegangen, als auf der Westseite der Kirche plötzlich lautes Gepolter anhub. Philip sah auf; ihn graute vor dem Geräusch. Das Gepolter schwoll zu Donnergetöse an.
    »Er ist schwach«, sagte Tom Builder. »Genau wie der andere.«
    Philip verstand nicht, worauf der Baumeister hinauswollte.
    »Wen meint Ihr damit?«, fragte er.
    »Den Südwestturm.«
    »O nein! Nein!«
    Das Getöse wurde lauter und lauter. Voller Entsetzen beobachtete Philip, dass die gesamte Westmauer der Kirche, wie von Gottes Hand geschoben, ein Stück vorwärts rückte. Auf einer Länge von gut fünfzehn Schritt krachte der Dachstuhl ein, stürzte ins Hauptschiff und löste ein regelrechtes Erdbeben aus. Und dann knickte der Südwestturm um, und seine Trümmer ergossen sich wie ein Erdrutsch über die benachbarten Teile der Kirche.
    Philip stand vor Schrecken wie gelähmt. Seine Kirche löste sich vor seinen Augen in ihre Bestandteile auf! Selbst wenn es mir gelingt, das erforderliche Geld aufzutreiben, wird die Wiederherstellung der Kirche Jahre in Anspruch nehmen, dachte er. Was soll ich nun tun? Wie soll das Kloster diese Katastrophe überleben?
    Der Sarg bewegte sich auf Philips Schultern und riss den Prior aus seiner Erstarrung. Die anderen drei drängten weiter, und Philip ging einfach mit. Tom suchte und fand einen Weg durch das Chaos. Ein brennendes Scheit Holz fiel auf den Sarg und rutschte herunter, ohne einen der Träger zu treffen. Kurz darauf hatten sie die gegenüberliegende Seite erreicht. Durch die offen stehende Tür traten sie in die kalte Nachtluft hinaus.
    Die Zerstörung der Kirche hatte Philip so mitgenommen, dass er nicht einmal mehr Erleichterung über die eigene Rettung empfand. Sie eilten durch den Kreuzgang und verließen ihn durch den Torbogen auf der Südseite. In sicherer Entfernung von den Gebäuden blieb Tom stehen und sagte: »Das genügt.« Vorsichtig setzten sie den Sarg auf dem gefrorenen Boden ab.
    Philip brauchte eine Weile, bis er wieder zu Atem kam, und er nutzte die Pause, um sich auf die vor ihm liegenden Aufgaben zu konzentrieren: Den Verblüfften zu spielen – dafür war jetzt nicht die Zeit. Er war der Prior, er hatte das Sagen. Was war als Nächstes zu tun? Vorrang hatte die körperliche Unversehrtheit der Mitbrüder. Philip holte noch einmal tief Luft, straffte die Schultern und sah die drei Männer an.
    »Cuthbert«, begann er, »du bleibst hier und bewachst den Sarg des Heiligen. Die anderen folgen mir.«
    Er führte sie hinter den Küchengebäuden entlang und zwischen der Brauerei und der Mühle hindurch auf die große Freifläche vor dem Gästehaus. Die Mönche, viele Dorfbewohner und die Familienangehörigen des Baumeisters standen in kleinen Gruppen beieinander, starrten mit weit aufgerissenen Augen die brennende Kirche an und unterhielten sich in gedämpftem Ton. Auch Philip drehte sich noch einmal um, bevor er zu ihnen sprach. Die Kathedrale bot inzwischen einen jämmerlichen Anblick. Der Westflügel war ein einziger Trümmerhaufen, und aus den Resten des Dachstuhls loderten riesige Flammen empor.
    »Sind alle da?«, rief er. »Wenn ihr jemanden zu vermissen glaubt, nennt seinen Namen!«
    »Cuthbert Whitehead!«, rief jemand.
    »Er bewacht die Gebeine des Heiligen. Sonst jemand?«
    Es fehlte niemand mehr.
    »Zähl die Mönche durch«, sagte Philip zu Milius. »Wir wollen Gewissheit haben. Mit uns beiden müssen es fünfundvierzig sein.« Wohl

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