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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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seine Schritte zu verlangsamen oder gar stehen zu bleiben, das Kreuzzeichen in die Luft hieb. Kurz vor dem Torhaus bogen sie von der Straße ab und betraten die Holzbrücke, die über den Burggraben führte. Obwohl man ihm versichert hatte, dass er nicht viel zu sagen habe, verspürte Philip ein flaues Gefühl im Magen: Gleich werde ich vor dem König stehen, dachte er.
    Die Burg lag im äußersten Südwesten der Stadt; die Mauern auf der West- und der Südseite waren daher gleichzeitig Teile der Stadtmauer. Allerdings waren die Mauern, die die Rückseite der Burg von der Stadt trennten, ebenso hoch und stark wie die äußeren Verteidigungsanlagen. Es war, als müsste der König vor seinen Bürgern ebenso geschützt werden wie vor der Außenwelt.
    Sie durchschritten einen in die Mauer eingelassenen niedrigen Torbogen, der sie direkt auf den wuchtigen Wohnturm zuführte. Das eindrucksvolle Bauwerk mit quadratischem Grundriss beherrschte den gesamten oberen Teil der Burganlage. Philip zählte die schießschartenartigen Fenster und schloss daraus, dass es über drei Stockwerke verfügen musste. Im Erdgeschoss war, wie üblich, ein Vorratslager untergebracht; über eine Außentreppe gelangte man zum Haupteingang im ersten Stock. Am Fuß der Treppe standen zwei Posten, die sich vor Henry verneigten.
    Der Fußboden im großen Saal war mit Binsenmatten bedeckt. Es gab eine Feuerstelle, Holzbänke und ein paar in die Steinmauer eingelassene Sitze. In einer Ecke standen zwei Bewaffnete und bewachten den ebenfalls in die Wand eingelassenen Treppenaufgang zu den oberen Stockwerken. Einer der beiden Männer sah Henry an, nickte und stieg die Treppe hinauf – vermutlich, um dem König die Ankunft seines Bruders zu melden.
    Philip war übel vor Angst und Unruhe. In den nächsten Minuten konnte sich seine Zukunft entscheiden. Er wünschte nur, seinen beiden Begleitern besser trauen zu können, und machte sich Vorwürfe, weil er am Morgen in der Stadt herumgelaufen war, statt für den Erfolg seiner Mission zu beten. Er schämte sich seiner schmutzigen Kutte.
    Zwanzig oder dreißig Personen befanden sich außer ihnen im Saal, fast ausschließlich Männer. Es war ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus Rittern, Priestern und wohlhabenden Bürgern. Plötzlich schreckte er überrascht auf: Am Feuer stand Percy Hamleigh und unterhielt sich mit einer Frau und einem jungen Mann. Was führte den hierher? Die hässliche Frau war sein Weib, der junge Kerl sein verrohter Sohn. Sie hatten gemeinsam mit Waleran den Sturz des Grafen Bartholomäus herbeigeführt; so konnte es kaum Zufall sein, dass sie ebenfalls zum König gekommen waren.
    An Waleran gewandt, fragte Philip: »Seht Ihr …?« Er hätte gerne gewusst, ob der Bischof mit den Hamleighs gerechnet hatte.
    »Ja, ich sehe sie!«, zischte Waleran. Er war sichtlich ungehalten.
    Philip empfand die Anwesenheit der Hamleighs als bedrohlich, obwohl er nicht hätte sagen können warum. Er beobachtete sie genauer. Vater und Sohn waren einander sehr ähnlich: wohlgenährt, mit strohgelbem Haar und sturem Blick. Die Frau sah aus wie einer jener Dämonen, welche auf Höllendarstellungen die armen Sünder quälen. Ununterbrochen fingerte sie mit skelettdürren Händen an den entstellenden Geschwüren in ihrem Gesicht herum. Das gelbe Kleid, das sie trug, machte sie nur noch hässlicher. Unruhig trat sie von einem Fuß auf den anderen; rastlos wanderten ihre Blicke im Saal umher und kreuzten sich schließlich auch mit Philips, der sich daraufhin rasch abwandte.
    Henry begrüßte seine Bekannten und segnete alle anderen. Als plötzlich der Posten wieder erschien, wurde deutlich, dass der Bischof die ganze Zeit über die Treppe im Auge behalten haben musste, denn er sah ihn sofort und brach, als der Mann nickte, das Gespräch, das er gerade führte, mitten im Satz ab.
    Hinter Henry stieg Waleran die Treppe empor. Die Nachhut bildete Philip, dem das Herz bis zum Hals schlug.
    Der Saal im zweiten Stock war von gleicher Größe und Gestalt wie der im ersten, doch herrschte eine vollkommen andere Atmosphäre. Die Wände waren mit Gobelins behangen, und auf den gewienerten Bodenbrettern lagen Schaffellteppiche. Das Feuer loderte hoch und sorgte zusammen mit Dutzenden von Kerzen für helles Licht. Neben der Tür stand ein Eichenholztisch mit Federn, Tinte und einem Stapel Briefbögen aus Pergament. Ein Schreiber hielt sich bereit, das königliche Diktat aufzunehmen. Der König saß in einem großen, mit

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