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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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geradezu bescheiden ausnehmen – vorausgesetzt, sie wurde je gebaut! Philip kam zu Bewusstsein, dass ihn seine Reise mit den allerhöchsten Kreisen des Landes in Verbindung brachte, und er war plötzlich ganz aufgeregt. Schließlich war er nur ein einfacher Junge aus den walisischen Bergen, der dank eines glücklichen Geschicks Mönch geworden war. Und heute würde er vor dem König stehen. Was gab ihm das Recht dazu?
    Mit den anderen Mönchen kehrte er ins Dormitorium zurück. Aber er fand keinen Schlaf mehr. Er fürchtete, bei der Audienz etwas Falsches zu sagen oder zu tun und damit König Stephan oder Bischof Henry gegen Kingsbridge einzunehmen. In Frankreich geborene Herrschaften mokierten sich gerne über die Art, wie Engländer mit ihrer Sprache umgingen – was würden sie von einem walisischen Akzent halten? Frömmigkeit, Gehorsam und hingebungsvolle Arbeit für Gott, das waren die Kriterien, nach denen man Philip in der monastischen Welt bisher beurteilt hatte. Hier, in der Hauptstadt eines der größten Königreiche auf Erden, galten solche Eigenschaften gar nichts. Philip hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, hielt sich mit einem Mal für einen Hochstapler, einen Niemand, der vorgab, ein Jemand zu sein, und er war überzeugt, dass man ihn rasch entlarven und mit Schimpf und Schande davonjagen würde.
    Als der Morgen graute, erhob er sich, nahm an der Prim teil und frühstückte im Refektorium. Das Kloster war wohlhabend: Die Mönche aßen Weißbrot und tranken Starkbier. Nach dem Frühstück begaben sich die Brüder in die Kapitelversammlung, während Philip den bischöflichen Palast aufsuchte. Der ansehnliche, mit weiten Fenstern versehene Steinbau lag in einem mehrere Morgen großen Garten, der von einer Mauer umschlossen war.
    Waleran rechnete zuversichtlich mit Bischof Henrys Unterstützung bei seiner unerhörten Intrige. Mit Henrys Hilfe konnten alle Wünsche in Erfüllung gehen, denn schließlich war er nicht irgendwer, sondern Henry von Blois, der jüngere Bruder des Königs. Er war nicht nur der Kleriker mit den besten Verbindungen zum Hof, sondern in seiner Eigenschaft als Abt des wohlhabenden Klosters von Glastonbury auch der reichste Vertreter seines Standes in ganz England. Schon jetzt galt er als der nächste Erzbischof von Canterbury. Einen mächtigeren Verbündeten konnte Kingsbridge gar nicht bekommen.
    Vielleicht geht ja doch alles gut, dachte Philip, vielleicht ermöglicht uns der König den Bau einer neuen Kathedrale … Allein der Gedanke daran erfüllte ihn mit solcher Hoffnung, dass ihm das Herz schier zerspringen wollte.
    Ein Diener beschied ihn, dass Bischof Henry voraussichtlich erst am späteren Vormittag Besuch empfangen könne. Philip war innerlich viel zu erregt, um zum Kloster zurückzukehren. Voller Unruhe beschloss er, sich die Stadt anzusehen – die größte Stadt, in der er je gewesen war.
    Der Bischofspalast lag im äußersten Südosten von Winchester. Philip schritt zunächst an der östlichen Stadtmauer entlang. Nachdem er das Gelände eines weiteren Klosters, der St. Mary’s Abbey, überquert hatte, gelangte er in ein Viertel, das ganz im Zeichen der Leder- und Wollverarbeitung stand und von zahlreichen Wasserläufen durchzogen war. Bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass es sich nicht um natürliche Bäche, sondern um von Menschenhand geschaffene Kanäle handelte. Gespeist vom Itchen-Fluss, versorgten sie das Stadtviertel mit den großen Wassermengen, die zum Waschen der Felle und Gerben der Häute erforderlich waren. Normalerweise entwickelten sich solche Gewerbe in unmittelbarer Ufernähe. Philip staunte über die Kühnheit der Leute, die hier den Fluss zu den Werkstätten gebracht hatten – statt umgekehrt.
    Trotz der vielen Handwerksbetriebe war Winchester ruhiger und weniger überfüllt als alle anderen Städte, die Philip bislang kennengelernt hatte. Orte wie Salisbury oder Hereford schienen in ihren Mauern eingezwängt wie ein dicker Mann in eine enge Tunika: Die Häuser standen dicht an dicht, die Hintergärten waren zu klein, der Marktplatz vermochte die Volksmenge nicht zu fassen. Mensch und Tier mussten um jeden Fußbreit Boden kämpfen, und dauernd hatte man das Gefühl, die gereizte Stimmung könne sich jederzeit in offenen Auseinandersetzungen entladen. Winchester indessen war so groß, dass niemand unter Platzmangel zu leiden schien. Ein Grund für das Gefühl der Weitläufigkeit lag, wie Philip nach einer Weile

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