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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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erkannte, darin, dass die Straßen wie ein Gitternetz angelegt waren. Sie waren größtenteils schnurgerade und bildeten mit den Querstraßen rechte Winkel. Philip hatte so etwas noch nie gesehen: Die ganze Stadt musste nach einem Plan errichtet worden sein.
    Kirchen gab es zu Dutzenden, in allen Formen und Größen, aus Holz oder aus Stein. Jede Kirche war für einen kleinen Stadtbezirk zuständig. Eine Gemeinde, die sich so viele Priester leisten konnte, musste sehr reich sein.
    Leichte Übelkeit beschlich Philip in der Straße der Fleischhauer. Noch nie hatte er so viel rohes Fleisch auf einem Fleck gesehen. Blut floss aus den Läden auf die Straße, und zwischen den Füßen der Käufer und Passanten huschten fette Ratten hin und her.
    Die Straße der Fleischhauer mündete im Süden in die High Street, gleich gegenüber dem alten Königspalast. Philip wusste bereits, dass die Könige seit der Errichtung des neuen Wohnturms auf der Burg den alten Palast mieden, doch schlug die königliche Münze im Untergeschoss des von dicken Mauern und eisenbewehrten Toren geschützten Gebäudes nach wie vor Silberpennys. Eine Weile blieb Philip vor dem schmiedeeisernen Gatter stehen und sah den Funken zu, die aufsprühten, wenn der Hammer auf den Prägestock niederfuhr. Es war der bildhafteste Ausdruck des Reichtums dieser Stadt. Philip war überwältigt.
    Es standen noch ein paar andere Leute vor dem Tor und sahen den Münzern bei der Arbeit zu. Wahrscheinlich handelte es sich um eine bekannte Attraktion der Stadt, die kein Besucher sich entgehen ließ.
    Neben Philip stand eine junge Frau und lächelte ihm zu. Er erwiderte das Lächeln, und sie sagte: »Was du willst – für einen Penny.«
    Was meinte sie damit? Philip lächelte wieder, unbestimmt. Da öffnete sie ihren Mantel, und er sah zu seinem Entsetzen, dass sie darunter splitternackt war. »Alles, was du willst – für einen Silberpenny!«
    Begierde keimte in ihm auf wie das Gespenst einer lange verdrängten Erinnerung. Sie war eine Hure. Er spürte, wie er bis unter die Haarspitzen errötete. Rasch wandte er sich ab und eilte davon. »Sei kein Frosch!«, rief sie ihm nach. Ihr spöttisches Gelächter verfolgte ihn noch ein gutes Stück.
    Erregt und verärgert verschwand er in einer Seitengasse, die ihn nach kurzer Zeit auf den Marktplatz führte. Hinter den Ständen erhoben sich die Türme der Kathedrale. Er achtete nicht auf die Lockrufe der Händler, sondern drängelte sich rastlos durch die Menge. Bald darauf erreichte er wieder den Kirchplatz.
    Die geordnete Ruhe des Kirchen- und Klosterbezirks war wie eine kühle Brise. Im Friedhof blieb Philip stehen und versuchte sich zu sammeln. Scham und Empörung beherrschten ihn. Wie konnte dieses Weib es wagen, einen Mann in Mönchskutte zu versuchen? Sie hatte ihn offensichtlich als auswärtigen Besucher erkannt. War es möglich, dass reisende Mönche fernab vom heimatlichen Kloster zu ihren Kunden zählten? Natürlich, gestand er sich ein, Mönche begehen genau die gleichen Sünden wie andere Sterbliche … Ihn hatte lediglich die Schamlosigkeit des Weibes erschreckt. Das Bild ihrer Nacktheit blieb bei ihm, so wie der heiße Kern einer Kerzenflamme hinter den geschlossenen Lidern des Betrachters weiterglüht.
    Er seufzte. Was für Eindrücke! Die von Menschenhand geschaffenen Bäche, die Ratten in den Fleischerläden, die großen Stapel frisch geprägter Silberpennys, die Frau in ihrer Nacktheit … Philip wusste, dass die Bilder zurückkehren und ihn in seinen Meditationen heimsuchen würden.
    Er betrat die Kathedrale. Er fühlte sich zu schmutzig, um einfach niederzuknien und zu beten, doch empfand er allein schon den langsamen Gang durchs Kirchenschiff als eine Art Läuterung. Durchs Südtor verließ er die Kathedrale. Übers Klostergelände erreichte er den bischöflichen Palast.
    Im Erdgeschoss befand sich eine Kapelle. Philip stieg die Treppe hinauf und trat in den Saal. Hinter der Tür standen ein paar Diener und junge Geistliche herum, einige hockten auch auf einer Bank vor der Wand. Waleran und Bischof Henry saßen auf der gegenüberliegenden Seite des Saals an einem Tisch. Ein Diener trat Philip in den Weg. »Die Bischöfe sind beim Frühstück«, sagte er, als wollte er damit zum Ausdruck bringen, dass Philip sie nicht sprechen könne.
    »Ich möchte mich zu ihnen setzen«, erwiderte Philip.
    »Ihr wartet besser noch ein Weilchen.«
    Der hält mich für einen einfachen Mönch, dachte Philip und sagte:

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