Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
mochte. Konnte Stephan die Zusage, die er Percy Hamleigh gegeben hatte, wieder zurücknehmen? Wie wichtig war Percy überhaupt für ihn? Die Hamleighs gehörten dem Landadel an und spekulierten auf die Grafschaft. Angst davor, Percy vor den Kopf zu stoßen, brauchte der König doch gewiss nicht zu haben – oder?
Andererseits: Wie ernst war es ihm mit seinem Hilfsangebot für Kingsbridge? Könige waren dafür bekannt, dass sie gemeinhin erst im Alter fromm wurden …
Stephan war noch jung.
Vor ihm lag der Trost der Philosophie des Boethius. Philip betrachtete das Buch, ohne darin zu lesen. Unablässig kreisten seine Gedanken um die möglichen Beweggründe des Königs. Da kam auf Zehenspitzen ein Novize zu ihm geschlichen und sprach ihn schüchtern an: »Im Außenhof steht jemand, der mit Euch sprechen möchte, Vater.«
»Wer?«, fragte Philip. Da der Besucher draußen warten musste, konnte es sich nicht um einen Mönch handeln.
»Eine Frau.«
Die Hure! , dachte Philip entsetzt. Das Weib, das mich vor der Münze angesprochen hat … Ein Blick ins Gesicht des Novizen verriet ihm, dass er sich getäuscht hatte. »Wie sieht sie aus?«, fragte er.
Der junge Mann verzog angewidert das Gesicht.
Philip nickte. Er wusste Bescheid. »Regan Hamleigh.« Was führte sie nun schon wieder im Schilde? »Ich komme sofort.«
Langsam umrundete er den Kreuzgang und versuchte sich zu sammeln. Mit dieser Frau konnte man es nur aufnehmen, wenn man im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war.
In einen schweren Mantel gehüllt, stand sie vor dem Empfangszimmer des Kellermeisters und verbarg ihr Gesicht unter einer Kapuze. Sie bedachte Philip mit einem Blick von so unverhüllter Tücke, dass er am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht hätte. Nur weil er sich schämte, zum zweiten Mal an diesem Tag vor einer Frau davonzulaufen, blieb er stehen und fragte: »Was wollt Ihr von mir?«
»Närrischer Mönch!«, geiferte sie. »Wie könnt Ihr nur so dumm sein?«
Philip fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. »Ich bin der Prior von Kingsbridge«, antwortete er, »und Ihr redet mich gefälligst mit ›Vater‹ an.« Zu seinem Ärger klang seine Stimme eher mürrisch als gebieterisch.
»Bitte sehr, Vater … Doch nun sagt mir, was in Euch gefahren ist, dass Ihr Euch von diesen beiden gierigen Bischöfen so benutzen lasst!«
Philip holte tief Luft. »Drückt Euch verständlich aus!«
»Bei solchen Einfaltspinseln, wie Ihr einer seid, ist das gar nicht so leicht. Aber ich werd’s versuchen. Die niedergebrannte Kirche ist für Waleran nur ein willkommener Vorwand, sich die Ländereien der Grafschaft Shiring unter den Nagel zu reißen. Ist das verständlich genug? Habt Ihr jetzt begriffen, worum es geht?«
Ihr verächtlicher Ton ärgerte Philip nach wie vor. Aber er konnte der Versuchung, sich zu verteidigen, nicht länger widerstehen. »Da gibt’s nichts zu verheimlichen«, sagte er. »Die Einkünfte aus den Ländereien sollen zur Finanzierung der neuen Kathedrale herangezogen werden.«
»Wie kommt Ihr denn darauf?«
»Nun, darum dreht sich doch alles!«, protestierte Philip, während insgeheim schon die ersten Zweifel aufkeimten.
»Wem werden denn die neuen Ländereien gehören«, fragte Regan. »Der Priorei oder der Diözese?« Der beißende Spott in ihrer Stimme hatte sich in Gerissenheit verwandelt.
Philip starrte sie einen Moment lang ungläubig an. Dann wandte er sich ab: Ihr Gesicht war einfach zu abstoßend. Bei all seinen Überlegungen war er stets davon ausgegangen, dass die neuen Ländereien der Priorei gehören und von ihm persönlich verwaltet werden sollten. Jetzt erinnerte er sich, dass Bischof Henry während der Audienz beim König ausdrücklich darum gebeten hatte, die Länder der Diözese (und damit in Walerans Obhut) zu geben. Er, Philip, hatte dies als simplen Versprecher aufgefasst, der freilich, wie er sich eingestehen musste, weder sofort noch später korrigiert worden war.
Er musterte Regan Hamleigh voller Misstrauen. Kaum denkbar, dass sie im Voraus wusste, was Henry dem König sagen wollte. Möglicherweise hatte sie recht. Andererseits ließ sich nicht ausschließen, dass sie nur darauf aus war, Unfrieden zu stiften. Wenn es zu einem Zerwürfnis zwischen Philip und Waleran kam, waren die Hamleighs allemal die lachenden Dritten. »Waleran ist Bischof«, sagte er. »Er braucht eine Kathedrale.«
»Er braucht eine ganze Menge«, entgegnete sie. Nun, da sie vernünftig zu argumentieren begann,
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