Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
scharlachroten Umhang versuchte, trotz eines verletzten Beins, kriechend vorwärtszukommen. Philip, der den Mann tragen wollte, überquerte die Straße; doch bevor er sein Ziel erreichte, erschienen zwei Männer mit Eisenhüten und Holzschilden auf der Bildfläche. »Der ist noch am Leben, Jake«, sagte einer der beiden.
Philip erschauderte. Ihm schien, die beiden glichen in Auftreten, Stimmen, Kleidung, ja sogar in ihrem Aussehen jenen beiden, die seine Eltern gemordet hatten.
Der Mann namens Jake erwiderte: »Der ist bestimmt ein Lösegeld wert – schau dir bloß den roten Umhang an!« Er drehte sich um, steckte die Finger in den Mund und pfiff. Ein dritter Mann kam herbeigerannt. »Nimm den Rotrock hier mit zur Burg, und binde ihn fest.«
Der dritte Mann schlang die Arme um die Brust des verwundeten Bürgers und zerrte ihn davon. Der Verletzte schrie vor Schmerzen, da sein Bein über die Steine schleifte. »Halt!«, rief Philip. Die drei hielten kurz inne, sahen ihn an und brachen in Gelächter aus; dann machten sie weiter wie gehabt.
Philip rief ihnen noch einmal nach, aber sie kümmerten sich gar nicht um ihn. Hilflos musste er zusehen, wie der Verletzte fortgeschleift wurde. Ein weiterer, in einen langen Pelzmantel gehüllter Bewaffneter trat mit sechs Silbertellern unter dem Arm aus einem der Häuser. Jake musterte die Beute. »Das sind reiche Häuser hier«, sagte er zu seinem Kameraden. »Wir sollten uns Einlass verschaffen und sehen, was sich finden lässt.« Sie gingen auf die verschlossene Tür eines Steinhauses zu und bearbeiteten sie mit ihren Streitäxten.
Philip kam sich nutzlos vor, war jedoch nicht gewillt, die Flinte ins Korn zu werfen. Gott hatte ihn gewiss nicht hierher gestellt, damit er die Besitztümer der Reichen verteidigte, daher kehrte er Jake und seinen Kumpanen den Rücken zu und eilte auf das Westtor zu. Weitere Bewaffnete kamen die Straße entlanggerannt. Unter ihnen befanden sich viele kleine, dunkelhäutige Männer mit bemalten Gesichtern, in Schaffelle gekleidet und mit Keulen bewaffnet. Das sind die Waliser, stellte Philip fest, voller Scham darüber, dass er dem gleichen Land wie diese Wilden entstammte. Er drückte sich gegen eine Hauswand und versuchte, so unauffällig wie möglich zu wirken.
Zwei Männer kamen aus einem Steinhaus und schleiften einen Mann mit weißem Bart und einem Seidenkäppchen auf dem Haupt an den Beinen hinter sich her. Einer von ihnen hielt dem Mann sein Messer an die Gurgel und fragte: »Wo hast du dein Geld versteckt, Jude?«
»Ich habe kein Geld«, erwiderte der Mann kläglich.
Das nimmt ihm niemand ab, dachte Philip. Die Juden von Lincoln waren bekannt für ihren Reichtum; dazu wohnte der Mann in einem Haus aus Stein.
Ein dritter Bewaffneter trat aus dem Haus und schleifte eine Frau an den Haaren hinter sich her. Sie war in mittleren Jahren und wahrscheinlich mit dem Juden verheiratet. Der erste Kerl brüllte: »Sag uns, wo du dein Geld versteckt hast, sonst stoß ich ihr mein Schwert in die Fotze!« Er hob den Rock der Frau, entblößte ihre angegrauten Schamhaare und zielte mit seinem langen Dolch auf ihren Schoß.
Philip wollte sich schon einmischen, doch da gab der Alte nach. »Tut ihr nichts, das Geld ist da«, stieß er hervor. »Im Garten vergraben, gleich neben dem Brennholz, lasst sie in Ruhe, bitte!«
Die Kerle rannten zu dritt in das Haus. Die Frau half ihrem Mann auf die Beine. Eine weitere Reitergruppe donnerte die schmale Straße hinunter, und Philip warf sich zur Seite. Als er sich wieder aufrappelte, waren die beiden Juden spurlos verschwunden.
Ein junger Mann in Panzerzeug rannte, von drei oder vier Walisern verfolgt, um sein Leben. Er war gleichauf mit Philip, als sie ihn einholten. Der ihm nächste Verfolger schwang sein Schwert und streifte die Wade des Fliehenden. Die Wunde konnte nicht tief sein, aber ernst genug, um den jungen Mann zum Stolpern und zu Fall zu bringen. Ein weiterer Verfolger schloss auf und hob seine Streitaxt.
Mit vor Angst schlotternden Knien trat Philip vor und rief: »Halt!«
Der Mann holte aus.
Philip stürzte sich auf ihn.
Der Mann setzte zum Schlag an, doch Philip gab ihm einen Schubs. Die Klinge der Streitaxt traf die Gehsteine, keinen Fuß vom Kopf des Opfers entfernt. Der Angreifer fing sich wieder und glotzte Philip baff an. Philip stierte schweigend zurück, versuchte, sein Zittern zu beherrschen, und wünschte sich sehnlichst, dass ihm ein paar Brocken Walisisch einfielen. Keiner
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