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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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wollte sich noch unnötig in Gefahr bringen. William und Walter kreuzten ihre Klingen mit zwei Rittern, die sich allerdings damit zufriedengaben, sie zurückzutreiben.
    William trat zwei Schritte zurück und äugte zum König hinüber. Im selben Moment kam ein großer Steinbrocken übers Feld geflogen und traf Stephans Helm. Der König stolperte und ging in die Knie. Williams Gegenüber hielt inne und wandte den Kopf, um zu sehen, was Williams Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Die Streitaxt entfiel den Händen des Königs. Ein feindlicher Ritter lief auf ihn zu und riss ihm den Helm vom Kopf. »Der König«, schrie er triumphierend. »Ich habe den König.«
    William, Walter und das gesamte königliche Heer machten kehrt und ergriffen das Hasenpanier.
    Philip war außer sich vor Freude. Der Rückzug begann in der Mitte der königlichen Armee und breitete sich wie ein Lauffeuer nach beiden Seiten aus. Binnen kürzester Frist war das gesamte königliche Heer auf der Flucht: Das war der Lohn für Stephans Ungerechtigkeit!
    Die Angreifer nahmen die Verfolgung auf. In der Nachhut der königlichen Armee hielten Knappen vierzig oder fünfzig reiterlose Pferde; so mancher unter den Flüchtenden sprang in einen Sattel und suchte das Weite – nicht Richtung Lincoln, sondern übers freie Feld.
    Philip fragte sich, was wohl aus dem König geworden sein mochte.
    Die Bürger von Lincoln räumten hastig ihre Hausdächer. Kinder wurden gerufen, Tiere zusammengetrieben. Ganze Familien verschwanden im Innern ihrer Häuser, schlossen die Fensterläden, verrammelten die Türen. Auf den Booten am Seeufer brach wirre Betriebsamkeit aus: Nicht wenige Städter versuchten, auf dem Wasserweg zu fliehen. Vor dem Dom stauten sich die Menschen, die dort Zuflucht suchten.
    Viele rannten los, um die riesigen, eisenbeschlagenen Stadttore zu schließen. Aus der Burg strömten plötzlich Ranulf von Chesters Mannen, die offenkundig einem vorher vereinbarten Plan folgten. Sie sammelten sich zu Gruppen, von denen jeweils eine auf ein bestimmtes Stadttor zumarschierte. Rücksichtslos drängten sie sich zwischen die Stadtbewohner, streckten jeden, der ihnen in die Quere kam, nieder und rissen die eben erst geschlossenen Stadttore wieder auf, um den Eroberern freien Zugang zu verschaffen.
    Philip beschloss, das Dach der Kathedrale zu verlassen. Die Menschen um ihn herum, die meisten davon Domherren, kamen auf den gleichen Gedanken. Sie duckten sich unter dem niedrigen Türrahmen, der ins Innere des Turmes führte. Dort begegneten sie dem Bischof und den Archidiakonen, die die Turmspitze erklommen hatten. Bischof Alexander machte einen überängstlichen Eindruck auf Philip. Schade: An einem solchen Tage sollte ein Bischof eigentlich anderen Mut zusprechen.
    Vorsichtig stiegen sie die lange, eng gewundene Wendeltreppe hinab und kamen am Westende des Hauptschiffes heraus. Hundert oder noch mehr Bürger befanden sich bereits in der Kirche, und die Menge strömte unaufhaltsam weiter durch die drei großen Portale herein.
    Als Philip einen Blick hinauswarf, sah er zwei Ritter, die blutverschmiert und dreckverkrustet in gestrecktem Galopp über den Domvorhof preschten; sie kamen offensichtlich direkt vom Schlachtfeld. Schnurstracks ritten sie in die Kirche. Sobald sie den Bischof erblickten, rief einer von ihnen: »Der König ist in Gefangenschaft geraten!«
    Philips Herz tat einen Sprung. König Stephan war nicht nur geschlagen, sondern obendrein auch noch in die Hände des Feindes gefallen! Das konnte nichts anderes bedeuten, als dass die Front seiner Anhänger im gesamten Königreich zusammenbrechen musste! In seinem Kopf überschlugen sich die möglichen Auswirkungen nur so, aber noch ehe er einen klaren Gedanken fassen konnte, hörte er Bischof Alexander rufen: »Schließt die Türen!«
    Philip traute seinen Ohren nicht. »Nein!«, schrie er zurück. »Das könnt Ihr nicht tun!«
    Der Bischof stierte ihn an, das Gesicht schneeweiß vor Angst und Schrecken. Er wusste nicht einmal, wen er vor sich hatte. Zwar hatte ihm Philip einen Höflichkeitsbesuch abgestattet, doch seitdem hatten sie kein einziges Wort miteinander gewechselt. Allmählich und mit sichtlicher Mühe erinnerte sich Alexander. »Das ist nicht Eure Kathedrale, Prior Philip, sondern meine! Schließt die Tore!« Mehrere Priester machten sich daran, seinem Befehl Folge zu leisten.
    Entsetzen erfasste Philip angesichts solcher Zurschaustellung nackter Selbstsucht – durch einen Mann der Kirche!

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