Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
jemand gesehen, was aus Richard von Kingsbridge geworden ist?« Um Alienas willen hoffte er, dass Richard mit dem Leben davongekommen war.
Ein Mann mit einem blutbefleckten Verband um den Kopf sagte: »Er hat wie ein Löwe gekämpft – als die Lage brenzlig wurde, hat er die Städter mobilisiert.«
»Ist er gefallen oder lebt er noch?«
Der Mann schüttelte seinen verletzten Kopf. »Ich habe ihn am Ende aus den Augen verloren.«
»Und was ist mit William Hamleigh?« Wenn der doch gefallen wäre!
»Er kämpfte fast die ganze Zeit an der Seite des Königs. Aber am Schluss ist er entkommen – ich habe gesehen, wie er, der Meute weit voraus, im gestreckten Galopp über die Felder setzte.«
»Aha.« Philips schwache Hoffnung zerschlug sich. So einfach wurde er seine Sorgen nicht los.
Die Unterhaltung verebbte, und es wurde wieder still im Käfig. Draußen kam Bewegung auf: Die verkaterten Soldaten kontrollierten ihre Beute, vergewisserten sich, dass ihre Gefangenen noch sicher hinter Schloss und Riegel waren, und holten sich ihr Frühstück aus der Küche. Philip fragte sich, ob die Gefangenen ebenfalls verköstigt wurden. Wahrscheinlich, dachte er, denn sonst verhungern sie und sind als Geiseln keinen Pfifferling mehr wert … Aber wer sollte die Verantwortung für die Verpflegung so vieler Menschen tragen? Und wie lange musste er selbst wohl hier bleiben? Seine Häscher mussten zunächst eine Lösegeldforderung nach Kingsbridge schicken. Darauf würden die Brüder einen aus ihren Reihen damit beauftragen, die Verhandlungen vor Ort zu führen. Wen wohl? Am besten wäre Milius, doch wahrscheinlicher war, dass Remigius, der als Subprior in Philips Abwesenheit die Verantwortung trug, einen seiner Busenfreunde schickte oder sogar sich selbst auf den Weg machte. Remigius würde sich Zeit lassen: Rasche Entscheidungen zu treffen war nicht seine Sache, nicht einmal dann, wenn es ihm persönlich zum Vorteil gereichte. Das alles konnte Monate dauern! Philips Stimmung sank auf den Nullpunkt.
Anderen Gefangenen erging es besser. Bald nach Sonnenaufgang erschienen die ersten Frauen, Kinder und Anverwandten, um über das Lösegeld für ihre teuren Angehörigen zu verhandeln – anfangs noch schüchtern und verängstigt, mit der Zeit jedoch immer energischer. Eine Weile lang verhandelten sie mit den Soldaten, beteuerten, kein Geld zu haben, und boten dafür billigen Schmuck und andere Wertgegenstände an; schließlich einigte man sich, die Angehörigen verließen die Burg und kamen wenig später mit dem ausgemachten Lösegeld, meistens in bar, zurück. Die Beute türmte sich immer höher, und die Käfige leerten sich zusehends.
Gegen Mittag war die Hälfte der Gefangenen verschwunden. Philip nahm an, dass es sich um Ortsansässige gehandelt hatte. Wer blieb, musste von weither kommen; die meisten waren wohl während der Schlacht in Gefangenschaft geratene Ritter. Philips Vermutung bestätigte sich, als der Burgvogt von einem zum anderen ging und jeden nach seinem Namen fragte: lauter Ritter aus dem Süden. Dann entdeckte Philip, dass in einem der Käfige nur ein einziger Gefangener saß, dazu im Zwingblock – als wolle man doppelt sichergehen, dass er auf gar keinen Fall entfliehen konnte. Philip starrte den abgesonderten Mitgefangenen eine ganze Weile lang an, bevor ihm dämmerte, wen er vor sich hatte.
»Seht nur!«, sagte er zu den drei Männern in seinem Käfig. »Der einzelne Mann da drüben. Täusche ich mich, oder ist er es wirklich?«
»Herrje, der König!«, sagte einer, und die anderen nickten zustimmend.
Philip musterte den dreckverkrusteten Mann mit dem hellen Haar, der mit Händen und Füßen in dem unbequemen Schraubstock steckte: Er sah nicht anders aus als andere Menschen. Gestern noch war er König von England gewesen; gestern hatte er Kingsbridge das Marktrecht verweigert – heute konnte er ohne Erlaubnis nicht einmal aufstehen. Er hat es nicht besser verdient, dachte Philip; dennoch empfand er Mitleid mit ihm.
Am frühen Nachmittag bekamen die Gefangenen etwas zu essen: nur die lauwarmen Reste von der Mittagstafel der Soldaten, über die sie jedoch hungrig wie die Wölfe herfielen. Philip hielt sich zurück und überließ den anderen den Löwenanteil, denn Hunger war in seinen Augen eine unrühmliche Schwäche, die man von Zeit zu Zeit überwinden sollte, sodass er jedes aufgezwungene Fasten als eine Gelegenheit zur Selbstkasteiung betrachtete.
Während sie noch ihre Schüssel auskratzten,
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